Ein Rückblick zum Wochenanfang: Parallel zur Eröffnung des Theatertreffens fand auch die fünfte Ausgabe der Konferenz „Theater und Netz“ statt. Unsere Gastautorin berichtet.
Dieses Jahr gab es kein Panel zum Thema „Zukunft des Theaters“. Ist das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Das Internet ist inzwischen eine Infrastruktur, die man wie Wasser-oder Stromnetze als gegeben voraussetzt. Nur im Theater scheint der Zugang zum Digitalen ein ewiges Neuland – welches die Konferenz Theater und Netz, eine Kooperation zwischen Heinrich-Böll-Stiftung und nachtkritik.de, seit nunmehr fünf Jahren zu erschließen versucht. Mit freiem W-LAN-Zugang – den man in den meisten Theatern vergeblich sucht.
Dringend benötigter Strukturwandel
Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmen sind Grundformen der Digitalität. Ihre Allgegenwärtigkeit stellt etablierte Institutionen in Kultur, Politik und Wirtschaft vor enorme Herausforderungen. Sie müssen ihre internen Strukturen so anpassen, dass sie die neuen Möglichkeiten für ihre jeweiligen Anliegen und Projekte nutzen können. Nicht nur politische Parteien und Zeitungsredaktionen erfahren diesen Wandel gerade – auch am Theater geht er nicht einfach vorbei. Auf dem Panel „Entgrenzung des Theaters. Wie digitale Medien den Theaterraum öffnen“ wurde der Wunsch nach diesem Strukturwandel auch für das Theater von Klaus Lederer, Björn Lengers, Angela Richter und Gerfried Stocker einstimmig formuliert. Nur wie?
Was kann diese Öffnung des Theaterraums durch digitale Medien genau sein, wenn es mal nicht um Marketing geht? Und kann Theater ausschließlich über die Digitalisierung sprechen, in dem es sich ihre Mittel aneignet? Sind die Potenziale politischer Einflussnahme im digitalen Raum ausgeschöpft, oder noch nicht einmal ansatzweise durchdrungen? Elisabeth Wehlings Analyse der Wahlkampagne von Hillary Clinton ließ dies leider schmerzlich vermuten. Und bleibt auch die Digitalisierung letztendlich wirkungslos, solange der Kapitalismus den Rahmen voraussetzt?
Digitales Nullsummenspiel
Die diesjährige Konferenz zeichnete aus, dass der Schwerpunkt immer weniger (wenngleich auch) auf Marketingmechanismen liegt, sondern auf der Festigung von Communitys und der Entwicklung neuer digitaler Praxen und Narrative. Die Namen eines Panels wie „Neue Plattformen für digitale Theaterpraxis“ mit VertreterInnen des „European Theatre Lab“, dem ersten europäischen Think-Tank für Theater im digitalen Raum und Zeitalter, der Reihe „Immersion“ der Berliner Festspiele und der „Performersion – Days of Performing & Immersive Arts“ oder „Theater in Zukunft. Neue Formate für Bühnenkunst“ sprechen für sich. Denn auch im Theater wird der bloße Austausch von analogen durch digitale Mittel ein Nullsummenspiel bleiben. Es geht vermehrt darum, nicht über, sondern mit Technologie etwas über unsere Zeit zu erzählen, deren zentrales Merkmal die Unübersichtlichkeit ist. Was in allen Diskussionen deutlich wurde: Um sich ernsthaft mit der Digitalisierung auseinandersetzen zu können, sollten wir uns darüber klar werden, was wir uns unter einer gut funktionierenden Gesellschaft vorstellen. Vereinfacht gesagt stoßen gerade die analoge und die digitale Welt mit ungebremster Wucht aufeinander. Es mag sein, dass zu irgendeinem Zeitpunkt kein Mensch mehr verstehen wird, wie unsere Roboter funktionieren, weil es kein Mensch war, der sie entwickelt hat. Aber die Meisten von uns verstehen ja nicht einmal wie ein CD-Spieler funktioniert. Also: Wovor haben wir Angst?
Dieses Jahr gab es also kein Panel zum Thema „Zukunft des Theaters“ – ein gutes Zeichen. Dann kann man sich endlich Gedanken über das Theater in der Zukunft machen.
Valerie Göhring (*1992) studierte Theaterwissenschaften, Germanistik und Urbanistik an der Universität Leipzig. In dieser Zeit assistiert und hospitiert sie am Thalia Theater Hamburg, Centraltheater Leipzig und Schauspiel Hannover. Sie organisiert das Fuchsbau Festival in Hannover, bei dem sie die Bereiche Literatur, Theater und Film kuratiert. Im Rahmen der Städtepartnerschaft Hannover – Leipzig entstehen erste kuratorische Arbeiten zu den Schwerpunkten Stadtgeschichte und Raumsoziologie. 2014 nimmt sie am Forum junger Theaterkritiker der Theaterbiennale in Wiesbaden teil. 2015 ist sie Stipendiatin der Rudolf-Augstein Stiftung für das Theatertreffen-Blog. 2016 lektoriert sie die Vorauswahl für den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens. Seit der Spielzeit 2015/16 ist sie Dramaturgieassistentin am Schauspiel Frankfurt.