Natürlich weiß man im Theater vorher oft nicht, was man kriegt. Und wird dann auch mal negativ überrascht. Noch lange kein Grund, dem Abend den Rücken zu kehren: Denn damit setzt man sowohl für die anderen Zuschauer als auch sich selbst gegenüber ein Zeichen der Resignation. Eine Entgegnung zu Judith Lieres Plädoyer fürs Aufstehen und Rausgehen.
Eins vorweg: Es ist prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, vor dem Ende einer Aufführung das Theater zu verlassen. Vorausgesetzt, niemand – von den Schauspielern hin zu den anderen Zuschauern – bekommt das plötzliche Aufstehen und Verschwinden mit. Und vorausgesetzt, man behauptet nachher nicht, in dem Stück jemals dringesessen zu haben. Oder sich für Theater zu interessieren.
Es ist dem ohnehin viel zu konfliktarmen Raum des Theaters aber nicht gerade zuträglich, wenn man sich durch unbemerktes Aus-dem-Staub-Machen jeglichem Diskurs und jedweder Konfrontation verweigert: Wem es nicht gefällt, der möge seinem Unmut doch bitte auch Luft machen. Zwischenrufe, Provokationen, Beleidigungen, Zankereien, ja selbst – sollte der Graben zwischen den verschiedenen Meinungen tatsächlich derart tief klaffen – Handgreiflichkeiten: Alles, wenn vielleicht auch in solchen Extremformen sicher nicht wünschenswert, immer noch besser als schulterzuckende Ignoranz, die in ihrer Passivität immer auch eine Affirmation des eigentlich Verhassten bedeutet. Wem wirklich etwas am Theater (und damit auch an gesellschaftlicher Veränderung) liegt, der akzeptiert es nicht, von der Bühne herab für blöd verkauft zu werden: Er wehrt sich und schlägt zurück, anstatt das bequeme und obendrein egozentrische Davonstehlen (das ja nicht einmal mehr ein Statement sein möchte) einer offenen Konfrontation vorzuziehen. Dasselbe gilt natürlich auch für die andere Form von Theater, die störende Mit-Zuschauer zum Besten geben.
Besser noch aber, der frustrierte Zuschauer nimmt sich zunächst einmal gar nicht so wichtig und wartet erstmal ab, was ihm der Abend zu bieten hat. Zu dem Respekt, der jedem Ensemble mit dem Anliegen, bereicherndes Theater zu schaffen, entgegenzubringen ist, gehört nun einmal auch die optimistische (und ja, leider: oft utopische) Erwartung seitens des Zuschauers, hier nicht einfach nur um kostbare Lebenszeit betrogen zu werden. Dass selbst im allerletzten Teil einer Inszenierung vorher Anödendes in ein völlig neues, augenöffnendes Licht gestellt werden kann, kommt vielleicht selten vor – aber es kommt vor, es ist möglich. Allein für diesen (dann um so denkwürdigeren) Fall lohnt es sich, im Zweifelsfall zu leiden. Denn auch negative Erfahrungen helfen, zu einer Haltung zu gelangen. Bisweilen kann der enstehende Konflikt sogar einen nichtigen Abend zu einer horizonterweiternden Erfahrung machen, die man niemals vergessen wird. Und wüten und toben oder es besser machen kann man ja im Zweifelsfall nachher immer noch.