Beim Theatertreffen feiert heute Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“ in der Regie von Lukas Langhoff Premiere, mit dem französch-senegalesisch-stämmigen Falilou Seck in der Rolle des Badearztes Stockmann. Stockmann ist Migrant im eigentlichen Sinne: ein Zugereister nämlich. Zum Fremdkörper im Dorf wird er aber nicht durch seine Herkunft, sondern durch seine aufdeckerischen Tätigkeiten – diese Rolle mit einem nicht-weißen Schauspieler zu besetzen, gibt dem Gesellschaftsdrama eine weitere Bedeutungsebene: „Fremd für die anderen wie für sich“, heißt es in der Jurybegründung.
Der Schauspieler Seck ist kein Theatertreffen-Neuling: Schon 2001 war er in „Das Fest“, in der Regie von Michael Thalheimer zu Gast in Berlin. Michael Thalheimer ist übrigens gerade Teil der Blackfacing-Debatte: In seiner Inszenierung von Dea Lohers „Unschuld“ am Deutschen Theater in Berlin geht es unter anderem um zwei afrikanische Einwanderer. Diese werden von weißen Schauspielern gespielt, die schwarzgemalte Haut und dicke rot geschminkte Lippen zur Schau tragen (Bilder hier). Die Kritiken waren gemischt, gemeinsam haben sie nur eines: in keinem wurde auf die klar rassistische Tradition des Blackfacings hingewiesen. Sowohl im Falle der Inszenierung als auch bei der Berichterstattung zeigt sich hier ganz klar: Das Bewusstsein und das Wissen um die Problematik und die Kontextualisierung des Blackfacings fehlte.
Das Blackfacing hat seinen Ursprung in den US-amerikanischen „Minstrel-Shows“ des 19.Jahrhunderts, eine Art Varieté-Theater, die das Klischee des glücklich-dummen schwarzen Plantagenarbeiters zum Thema hatten, gespielt von weißen Schauspielern mit schwarzer Schminke und aufgemalten dicken roten Lippen. Man könnte es auch als das Othello-Problem bezeichnen: Die für die Besetzungen Verantwortlichen haben/finden/wollen keinen schwarzen Schauspieler im Ensemble, darum wird ein weißer als „Ersatz“ eben angepinselt.
Ein unreflektiertes Reproduzieren dieses historisch belasteten Theatermittels ist somit äußerst problematisch. Aus diesem Grund protestierte auch die Gruppe Bühnenwatch, die es sich zum Ziel gemacht hat, rassistische Traditionen und Praktiken im deutschen Theaterbetrieb aufzuzeigen, gegen die Aufführung von „Unschuld“. Im Fall des DT fruchtete ihr Aufschrei: Die Schauspieler spielen nun mit demonstrativ weiß geschminkten Gesichtern und weisen somit auf die kolonialistisch geprägte Geschichte des Blackfacings hin. (Hier ein ausführliches Interview mit DT-Indendant Ulrich Khuon, an dieser Stelle eines mit Michael Thalheimer.)
Im Ballhaus Naunynstrasse fand letzte Woche eine interessante Diskussion zur aktuellen Debatte statt, in der die Psychoanalytikerin Grada Kilomba auf eben diese kolonialistische Tradition hinwies: „The black face is a construction of the white face“, was soviel heißt wie: Die vorherrschende weiße Masse determiniert das Schwarz-Sein. Mit dem Schwarzschminken wird auch immer ein Hinweis auf die Unterdrückung der Vergangenheit miterzählt, „Blackfacing is restaging the past into the present“, und somit das Trauma der Versklavung für die Betroffenen immer wieder hochgeholt, so Kilomba. Teilnehmer der Diskussion waren auch die beiden afro-deutschen Schauspielerinnen Elisabeth Blonzen und Lara–Sophie Milagro, die von ihren Erfahrungen in deutschen Theatern erzählten. Blonzen hat das seltene Glück, schon viele klassische Rollen gespielt zu haben, ihre Hautfarbe sei schon bald „kein Thema“ mehr bei Besetzungsüberlegungen gewesen. Weitaus beständiger zeigte sich allerdings der Alltagsrassismus, so berichtet sie: der „Negerkuss“ in der Kantine oder überhaupt die Persistenz des ungeliebten N-Worts; „sei doch nicht so empfindlich“, heiße es oft, sobald sie auf diese Missstände hinweise.
Lara-Sophie Milagro hatte eine ganz andere Geschichte zu erzählen: Sie spiele immer entweder die arme Asylantin oder die bunt gekleidete Frau aus Nigeria (Elisabeth Blonzen dazu: „Die Kostümbildner denken auch immer, ich wüsste, wie jede afrikanische Tracht auszusehen hat.“), ihre Rollen entsprächen somit auf keinen Fall der sozialen Realität, vielmehr der Vorstellung, die die breite Masse vom Leben der PoC (=People of Color) habe.
Doch wie kann man der Stereotypisierung und Randexistenz nicht-weißer Schauspieler in deutschen Theatern ein Ende bereiten? Institutionalisierung könnte eine Lösung sein: Nicht-weiße Entscheidungsträger, die Schauspieler, Regisseure und Autoren anderer ethnischer Gruppen etablieren, braucht der Theaterbetrieb für einen Wandel. Die Gastgeberin der Diskussion, die türkisch-stämmige Ballhaus-Intendantin Shermin Langhoff (übrigens Ehefrau von Lukas Langhoff), leistet mit ihrem post-migrantischen Theater in der Naunynstraße bereits jetzt einen wichtigen Beitrag zur Etablierung von Theaterschaffenden abseits der Mehrheitsgesellschaft.
Doch was bedeutet das für den Theaterbetrieb? Sollen jetzt nur noch PoC den Othello spielen? Hautfarbe ist niemals bloß Hautfarbe. Auch im Othello nicht: Hautfarbe ist auch hier Zeichen für Fremdheit, Ausgrenzung, und Misstrauen. Gibt es in den Zeiten des „postdramatischen“ Theaters keine andere Möglichkeit, diese Ausgrenzung zu zeigen, als die „Farbe“ der Schauspieler? Diese Frage ist unbedingt zu verneinen. Es gibt keine „schwarzen“ und keine „weißen“ Rollen – und ein schwarz angemaltes Gesicht macht auch keinen „Schwarzen“ aus einem „Weißen“. Hier muss man sich dringend auf die Suche nach anderen Ausdrucksformen machen.
Und was ist mit der Kunstfreiheit? Auch Kunst kann rassistisch sein: Rassismus ist nichts, was man planen muss, er spricht auch aus unbewussten Gesten – daher müssen althergebrachte Denkmuster und Handlungsweisen immer wieder hinterfragt werden. Genauso, wie man das auch mit einem Theaterstück macht.