Die kosmische (Un)Ordnung

Beim Stückemarkt war der ukrainische Theatermacher Sashko Brama mit seiner Performance "Fall on Pluto" zu Gast. Einem Abend für alte Puppen und junge Menschen - aber auch Anlass für jede Menge Technikgedöns.

Beim Stückemarkt war der ukrainische Theatermacher Sashko Brama mit seiner Performance „Fall on Pluto“ zu Gast. Einem Abend für alte Puppen und junge Menschen – aber auch Anlass für jede Menge Technikgedöns.

Man könnte sich fragen, wieso es etliche Theaterabende über die Liebe und das Geld gibt – zwei Dinge, über deren Ausmaß an Fiktionalität gestritten werden kann – während eine unbestreitbar reale Tatsache des Lebens so unattraktiv für die Bühnen zu sein scheint: Ein Theaterstück über das Altern, das ist wie ein Theaterstück über das Atmen. Ob man darüber redet oder nicht, es passiert. Immer. Schon wieder. Man altert. Während vorne auf der Bühne ein Kosmonaut tanzt. Schon wieder: älter. Während sich eine Kunstnebelschwade dreist vor den Übertiteln platziert, die man nun nicht mehr lesen kann: gealtert. Während man sich noch im Publikum umsieht, ist es schon wieder älter geworden. Das Altern begnügt sich nicht damit, ein Sujet zu sein und nach dem Applaus zu verschwinden. Es ist eine universelle und zugleich individuelle Zumutung, die uns zwar alle, aber leider alle einzeln ereilt.

Die zum Stückemarkt geladene Performance „Fall on Pluto“ des ukrainischen Theatermachers Sashko Brama könnte uns mit dieser Gewissheit als Beruhigung oder Verstörung entlassen. Der Abend könnte uns dazu bringen, uns beim Verlassen der Spielstätte gewahr zu werden, dass direkt gegenüber vom Haus der Berliner Festspiele eine Residenz für Seniorinnen und Senioren liegt, die häufig mit ihren Tee- und Kaffeetassen vor der Türe sitzen und das Treiben rund ums Festspielhaus wie von einem anderen Planeten beobachten.

Verdrängtes Unbehagen

Ein Theaterabend über das Altern könnte uns fragen, ob wir Berührungsängste vor dieser Unausweichlichkeit haben. Ob Berührungsängste der Grund sind, dass wir das Altern lieber im Stück eines jungen Ensembles angucken als dort, wo es tatsächlich passiert. Er könnte uns an etwas erinnern, das eigentlich unmöglich zu vergessen ist. Oder vielleicht will er – der Theaterabend – erst mal nur überhaupt der Berührungsangst eine Berührung gegenüber stellen.

Aus Begegnungen von jung und alt entstand dieses Stück. Über ein Jahr besuchten der Regisseur Sashko Brama und sein Ensemble Seniorinnen und Senioren im Altenheim von Lviv in der Ukraine. In Aufzeichnungen der Gespräche werden die Erinnerungsfragmente von vier alten Menschen zu skizzierten Geschichten auf der Bühne – und die Menschen selbst zu Puppen in den Armen des jungen Ensembles. Diese lebensgroßen Puppen, zerfurcht und grau und niemals blinzelnd, wie sie jeweils von einer Darstellerin oder einem Darsteller behutsam in einer Umarmung über die Bühne bewegt werden, lassen wieder an Berührung denken. Dass es in einer erstmalig im Alter so vielzähligen Gesellschaft an Pflegepersonal fehlt, ist verbreitetes Wissen. Dass wir noch gar nicht wissen, wozu wir überhaupt so alt werden sollen: Verdrängtes Unbehagen.

„Das alles scheint jener Welt der digitalen Bedröhnung zu entstammen, aus der das Altern ausgespart bleibt.“ Foto (c) Artem Galkin

Die Bilder aus „Fall on Pluto“ könnten ein utopisches Negativ dazu sein. Vier junge Menschen stehen aufmerksam und zugewandt, sogar in ihren eigenen Bewegungen sich anpassend hinter vier gebrechlichen, alten Menschenpuppen und folgen deren wackeligem Vorwärts auf Schritt und Tritt. Eine der Puppen kurbelt an einer Drehorgel. Eine andere sitzt im Rollstuhl und verschmilzt fast gänzlich mit der Darstellerin unter ihr. Wenn das Stück nicht mehr als das gewollt hätte, hätte es viel gewonnen. Zu beobachten, wie sich junge, bühnentrainierte Körper in Gebrechlichkeit hinein versetzen und sich der Langsamkeit ihrer Puppenschützlinge hingeben, erzählt viel.

Dieser stimmlosen, unforcierten Erzählung kann der Einsatz von wummernder, blinkender, leuchtender, dröhnender Technik nichts hinzufügen. Die Neonlichter in der Dunkelheit, der Full-Surround-Sound, der torkelnde Dance des Kosmonauten – das alles scheint jener Welt der digitalen Bedröhnung und Geschwindigkeit zu entstammen, aus der das Altern ausgesperrt bleibt. Selbst die Dokumentation des Alterns kann der Erzählung vom Altern nichts zutragen: Zu fragmentiert und zu unentzifferbar aus dem Wunsch heraus, die Sprache authentisch zu belassen, kommen die voraufgezeichneten Stimmen vom Band, als stammten sie vom Pluto – Milliarden Kilometer entfernt. So wie die Puppen das Altern konkreter verkörpern, als es ein Körper könnte, bräuchte es vielleicht für die Stimmen und ihre Erzählung ebenfalls die Überführung in ein nicht dokumentarisches Mittel. Die Momente, in denen eine Verzerrung der Zeit stattfindet, und man plötzlich nicht mehr zwischen Kind und altem Menschen unterscheiden kann, weil beide sich in der Angst vorm Alleinsein und der Angewiesenheit auf Hilfe begegnen, aber auch im Erstaunen über die Welt. Diese Momente passieren immer dann, wenn das Stück gerade Pause macht, zwischen den Zeilen, zwischen den Regieanweisungen. Nach dem Stück ist man also um eine Stunde und zwanzig Minuten gealtert, schwärmt von Puppen und wettert gegen Strobo. So ist das wohl, wenn man alt wird.

Fall on Pluto

Konzept, Dramaturgie, Realisierung: Sashko Brama
Mitarbeit Konzept und Dramaturgie: Maria Bakalo, Andre Erlen
Puppenbau: Oksana Rossol, Oleksandr Sergiienko
Ton: Volodymyr Fanta, Timur Gogitidze
Tonaufnahme/Remastering: Faust
Licht: Oleksandr Mishchuk
Foto, Design: Marjana Klochko
Programmierung: Dmytro Makara
Technische Leitung: Serhii Chervonyi
Analytische Begleitung des Projekts: Viktoria Bryndza
Übersetzung, Übertitel: lvanna Kovalyshyn

Mit: Andrii Buchko, Marichka Kmit, Valeria Kotelenets, Anastsia Lisovska, Marharyta Pidluzhna, Iurii Shorobura

Dauer: 1 stunde 20 Minuten, keine Pause

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Jorinde Minna Markert

In Berlin geboren, spielte lange in Film und Theater. Jetzt schreibt sie für letzteres und studiert in Hildesheim. Ihr Debüt „artgerechte haltung“ wurde am Schauspiel Hannover und Leipzig szenisch gelesen und ist derzeit für den Retzhofer Dramapreis 2019 nominiert.

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