Das Theatertreffen ist vorbei, die Theaterferien stehen vor der Tür. Eine Möglichkeit, zumindest einige Themen des Treffens (Biographismus, Betroffenheit, Schlingensief) präsent zu halten: Man liest Christoph Schlingensiefs „Tagebuch einer Krebserkrankung“ So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein. Eine Empfehlung.
Die Fragmente der Schlingensiefschen Tonbandprotokolle aus der Zeit seiner Krebserkrankung, die das Stück „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ teilweise übermächtig emotionalisierten und die nun im Textkorpus des Buchs „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ aufgegangen sind, wirken transkribiert und gedruckt deutlich weniger dramatisch: Die Krebsdiagnose („Wir haben den Befund und das ist große Scheiße“) liest sich lakonisch, die Aufzählung der möglichen Leidenswege („Operation, Chemo und Bestrahlung, oder eben erst Chemo, dann Operation, danach Bestrahlung und dann noch mal Bestrahlung … oder Chemo.“) erscheint in Schlingensiefs „Tagebuch einer Krebserkrankung“ (so der Untertitel) schlicht sachlich.
Keine kryptosakrale Grenzerfahrung
Das Schluchzen Schlingensiefs, das „Bitte nicht berühren, jetzt!“, das die Theateraufführung rahmte, fehlt existentiell, wie überhaupt die immer wieder überkippende Stimme, das Weinen. Die bestürzend authentische Gefühlsentäußerung überlebt das kalte Medium Schrift nur bedingt, zumindest, wenn man zuvor in der „Kirche der Angst“ eine kryptosakrale Grenzerfahrung machen durfte.
„Jetzt ist gerade mal Schluss mit Spinnen.“
Dennoch: Der orale Duktus der Tonbandprotokolle, die Schlingensief von seiner Krebsdiagnose im Januar 2008 über die Operation zur Entfernung eines Lungenflügels bis zum Beginn der Chemotherapie im April besprochen hat, bleibt erhalten, der Monolog ist direkt und mitreißend, ganz bei sich selbst: Neben die entsetzte Verzweiflung treten Banalitäten des Alltags wie die Freude über „superleckeres“ Essen oder eine „ganz, ganz tolle Massage“. Und immer wieder ebenso schwere wie scharfe Gedanken, mit denen da einer in lebensbedrohlicher Situation „dringlich“ wird: „Bis jetzt konnte ich ja rumspinnen, wie ich wollte. Jetzt will ich aber wissen, warum ich so gerne gesponnen habe, und was das bedeutet, wenn man gesagt bekommt: Jetzt kannst du aber nicht mehr so spinnen, jetzt ist gerade mal Schluss mit Spinnen. Was denk ich denn dann noch?“
Dialektik des „enttäuschten Glückskinds“
Schlingensief denkt eine ganze Menge: „Das, lieber Gott, ist die größte Enttäuschung. Dass du ein Glückskind einfach so zertrittst.“ Gerade in der im Buch wie im Theaterstück omnipräsenten Auseinandersetzung mit Gott, dem ständigen Wechseln zwischen Demut und Anklage, wird der Katholik Schlingensief zu einem faszinierenden Medium von Verzweiflung: Da ist sich einer seiner privilegierten Biographie sehr reflektiert bewusst, was ihn denken macht, dass er Gott eigentlich für sein bisheriges Leben danken müsste. Weil er dennoch verzweifelt, verzweifelt er zusätzlich noch an der eigenen Verzweiflung – und kann sich daran an einem besseren Tag schon wieder freuen: „Vielleicht ist das hier ja die Erfüllung meines Wunsches, etwas zu erleben, was mein Denken auf den Punkt bringt.“
Gedankenschwer und liebenswert
Zugleich macht die zwanghafte Produktivität, mit der hier Lebensbedrohung urbar gemacht wird, auch Sorge: „Meine Trauer war doch ziemlich schnell im Gestrüpp der Verwertungsanlage Schlingensief junior angekommen“, sagt/schreibt Schlingensief selbst über die Aufarbeitung des Todes seines Vaters im Vorjahr – und der Leser fragt sich, ob das nicht auch auf das zutrifft, was er gerade liest. Doch letztlich ist das Krebstagebuch weit davon entfernt, ein Teil dieser Verwertungsanlage zu sein – im Gegensatz zur kraftaufwändigen „Kirche der Angst“. Es ist ein Abfallprodukt im besten Sinn, auf sympathische Weise zufällig. Es zeigt den gedankenschweren Schlingensief ebenso wie den Alltagsmenschen, und den Exzentriker, der nachts schon mal davon träumt, die Bibel umzuschreiben und anderes „gigantisches Zeugs“.
„So dermaßen beleidigt und verletzt!“
In den Schlaglichtern seiner Krankheit ist Schlingensief ganz direkt und sehr persönlich, ironisch und verzweifelt zugleich: „Ich bin so beleidigt, so dermaßen beleidigt und verletzt von diesem Ding. Mit 47 Jahren. Ist echt eine unglaubliche Beleidigung!“ Diese Ehrlichkeit, die authentische Kränkung bei gleichzeitigem Wissen um die Lächerlichkeit der eigenen Emotion, letztlich der gesamten Existenz, rührt dann doch wieder zu Tränen.