Die Premierenkritik: Hysterie bei Herbert Fritsch

Die [s]panische Fliege“, inszeniert von Herbert Fritsch an der Volksbühne, ist ein Schwank, also vor allem kurzweilige Unterhaltung. Klingt banal, ist aber eine schwierige Kunst, an der zahlreiche Theatermacher schon gescheitert sind, da sie auf einem schmalen Grat tanzen müssen. Fritsch und sein Ensemble springen und schreien anscheinend ganz mühelos darauf.
„Sie kehren mich unter den Teppich!“
Dieses Spiel findet auf einem überdimensionalen Teppich statt, dessen Falten als Stolperfalle, Rutsche, Sitzfläche oder Versteck dienen. Vor allem verbirgt dieser Teppich ein Trampolin, das immer wieder für kuriose Ab- und Auftritte oder akrobatische Einlagen sorgt.

Gutbürgerliche Verhältnisse. Foto: Thomas Aurin.


„Wir dürfen uns nicht lächerlich machen!“
Alle Elemente der Inszenierung vermitteln eine offensive Künstlichkeit: das maskenhafte Make-up, die grotesk-übergroßen Perücken, die überzeichneten Gesten, die klamaukige Musik und der virtuose Umgang mit mehrdeutiger Sprache.
„Wir sind ein sittenstrenges Haus!“
Diese Mehrdeutigkeit wird von den zwölf Darstellern verbunden mit absurden Gesten, virtuosem Slapstick, beeindruckender Akrobatik und viel Situationskomik. Sophie Rois entzieht sich zwar dieser extrem sportiven Darstellungsart, ist aber nicht weniger körperlich-präsent und treibt dafür ihre Mimik und vor allem ihre unvergleichliche Stimme wörtlich auf die Spitze. Die übrigen Darsteller fallen von der Bühne, auf die Bühne, springen, rutschen und stolpern permanent durcheinander. Diese Situationskomik wiederholt sich an diesem zwei stündigen Abend allerdings so sehr, dass sie sich nach und nach etwas abnutzt.
Diese überdrehte Komik nimmt so viel Raum ein, dass die eigentliche Handlung völlig ihre Bedeutung verliert. Was dem Stück aber gut tut, zumal Fritsch die Geschichte ohnehin eher egal sein dürfte: Gutbürgerliche Spießerfamilie versucht Tochter standesgemäß zu verheiraten, was durch einen auftauchenden unehelichen Sohn und zahlreiche Verwechslungen allerdings verkompliziert wird. Aber diese Geschichte spielt keine große Rolle, da sich die Schauspieler für nichts zu schade sind und alles geben, um das Publikum immer wieder zu Lachanfällen zu reizen. Erstaunlich ist, dass das größtenteils tatsächlich gelingt, obwohl zwei Stunden andauernde Hysterie wirklich schwer aufrecht zu erhalten ist.

Schlussapplaus nach zwei Stunden Hysterie. Foto: Adrian Anton


Im Stück heißt es: „Meine Mama hat gesagt: Junge, egal was passiert, bleib auf dem Teppich!“ Herbert Fritsch hält sich natürlich nicht daran und schwebt zum entsprechend hysterischen Schlussapplaus an einem Seil hängend über die Bühne. Gutes und stimmiges Schlussbild.

Thomas Oberender überreicht den TT-Stempel an das Fritsch-Team. Foto: Adrian Anton



„Jetzt ergibt alles seinen Sinn!“

Mir persönlich gefällt die beinahe avantgardistische Max-und–Moritz-Manier von Herbert Fritsch an sich erstaunlich gut, allerdings wiederholt sie sich eben auch mit jeder seiner Inszenierungen. Trampolin, Slapstick-Einlagen, Musik und Beleuchtung erinnerten mich zum Beispiel sehr an seinen „Raub der Sabinerinnen“ am Hamburger Thalia Theater. Daher hätte mir auch eine Stunde genügt. Nichtsdestotrotz weiss ich es durchaus zu schätzen, im Theater auch einfach mal über die Absurdität der Welt lachen zu können – in einem Theatersaal voller hysterisch-glucksender, prustender und andernorts wahrscheinlich eher manierlicher Bildungsbürger. Nach zwei Stunden hatte ich dann aber doch eher das Bedürfnis, mich stattdessen an Polleschs Lektüre-Empfehlungen von Foucault, Derrida & co. zu halten. Als Ausgleich. Wie es sich für einen wohlgesitteten Bildungsbürger eben gehört.

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Adrian Anton, 1978 in Bad Hersfeld geboren, lebt und arbeitet in Hamburg als „freier" Kulturwissenschaftler. In der Praxis bedeutet das vor allem Individualisierung, Flexibilität und Mobilität im (Bildungs-)Prekariat als Ergebnis eines Studiums mit Magister-Abschluss in Volkskunde/Kulturanthropologie, Anglistik und Museumsmanagement. Seine Berufserfahrungen reichen von Bestattungen über PR und Tagungsorganisation bis zu Museumspädagogik. Derzeit forscht und schreibt er unter anderem zum „armen Tod". Bei all dem „work in transit" bilden Theaterbegeisterung und der Wille zu schreiben Konstanten, etwa das seit 2009 aktive Blog „FLÜSTERN + SCHREIE".

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