Theaterkritiker zu sein, ist ja schon hart verdientes Brot. Tagein, tagaus sitzt der Kritiker in den Theatern, Abend für Abend, Stunde für Stunde, nur schwer lässt er sich zu überschwänglichem Lob hinreißen. Umso überraschender, als nach der Premiere von der „Möwe“ in der Regie von Jürgen Gosch im Dezember 2008 sich die Kritiker mit Lob überschlugen. Selten las man so Überschwängliches von den Speerspitzen der Kulturberichterstattung.
Rüdiger Schaper vom Tagesspiegel konnte sich gar nicht mehr einkriegen: „Diesen Abend vergisst man nicht. Er ist ein Geschenk. Den ja nie ganz verlorenen Glauben ans Theater bringt er zurück“, jubelt er, und der Leser ist ganz gerührt ob dieser Worte. Mein Gott, was muss dem Mann passiert sein? Und es geht noch weiter mit einem schwülstig-lyrischen Ausbruch: „Drei Stunden lang – wenn sie doch nie vorübergingen! – fühlt man sich aufgehoben, angehoben in einer Sphäre, für die Tschechow die Chiffre Landleben benutzt.“ Und dann klingt es tatsächlich nach Tränen eines Kritikers?! „An diesem erschütternden, befreienden Premierenabend in der Volksbühne (…) bleiben die Augen nicht trocken. Ein Wunder!“ Auch der gestandene Großkritiker Peter Michalzik konnte sich in der Frankfurter Rundschau kaum mehr beherrschen: „Danke, Herr Gosch, wir verneigen uns tief.“ Oha! Und auch Reinhard Wengierek von der Welt ist begeistert und spricht mit einer berüchtigten Herzmetapher (sonst auf der schwarzen Liste der Kritiker) von einem „unvergesslichen Theaterabend“ und „großer Kunst, die von Herzen kommt“. Eva Behrendt ist hoch zufrieden und froh, dass Gosch „in der Möwe ganz auf der Höhe seiner Kunst bleibt.“ Und Hartmut Krug lobt im Deutschlandradio Kultur das Ensemble, es sei „einfach wunderbar, weil es Jürgen Gosch gelungen ist, alle Schauspieler zu enormer Präsenz in einem menschlichen Da-Sein zu bringen, deren Wahrhaftigkeit über ihr Bühnendasein hinauszureichen scheint.“
Kurz und gut, wer all diese Kritiken (und noch mehr) gelesen hat, der will sofort genau diese Inszenierung sehen, um mit eigenen Augen zu erleben, was die Kritiker so um den Verstand gebracht hat.