Der Schauspieler Joachim Meyerhoff erzählt in seinem mehrteiligen Soloprojekt „Alle Toten fliegen hoch“ aus seiner Biographie – nicht ohne einige Verschiebungen und Verfremdungen einzubauen. Selbst seine Dramaturgin Sibylle Dudek kennt nicht die ganze Wahrheit – und findet das gut so, wie sie auf dem Weg zum Berliner Maxim-Gorki-Theater berichtet, wo heute Abend die Teile 1 bis 3 ihre tt09-Premiere feiern.
Joachim Meyerhoffs Projekt „Alle Toten fliegen hoch“, hat aktuell fünf Teile, einen sechsten wird es nächste Spielzeit am Burgtheater geben. Die Grundlage bildet ein umfassendes Manuskript von Joachim Meyerhoff. Wie sind daraus Einzelabende entstanden?
In der Rohfassung des Textes gab es wesentlich mehr Kapitel, aber im Laufe der Zeit haben sich einzelne Bereiche herauskristallisiert, die in der Abfolge gut zueinander passten. Der rote Faden sind die Menschen, die in den jeweiligen Teilen sterben. Diese Todesfälle sind mal sehr nah und sehr schmerzhaft, wie der Tod des Vaters im vierten Teil. Dann wieder findet das Sterben nicht in der unmittelbaren Kernfamilie statt und ist damit weiter entfernt. Die Erfahrungen sind dadurch unterschiedlich berührend oder belastend und auch die einzelnen Theaterabende haben eine unterschiedliche Schwere.
Inwieweit kann man bei so persönlichen Stücken als Dramaturgin überhaupt eingreifen?
Joachim ist Autor, Schauspieler und Regisseur seiner Abende – ich gebe ihm Feedback zum Text, zur Sprache und zur Wirkung auf der Bühne. Es gibt immer eine große Gefahr, dass ein solches biographisches Projekt in eine Richtung abrutscht, die man nicht haben möchte, etwa wenn Eitelkeiten und Sentimentalitäten ins Spiel kommen. Dann ist es gut, wenn jemand von außen eingreift, denn es ist es ein sehr schmaler Grat, auf dem man sich bewegt.
Wie sieht die konkrete Probenarbeit aus?
Auf der Bühne geprobt wird eine Woche, aber wir fangen meist zwei Wochen vor der Premiere mit der Textarbeit an. Streichen müssen wir immer und manchmal ist Joachim dabei radikaler als ich – dann fliegen schon mal ganze Episoden raus. Es gibt zwar die ursprüngliche Rohfassung, aber in der Vorbereitung zu den Proben schreibt er sehr viel um, ergänzt und verdichtet. Das ist ein intensiver Prozess. Dazu kommen je nach Geschichte auch Bühnenbildveränderungen und neue Requisiten – der Pullover des Bruders, die zerbrochene Vase der Großmutter, die Glocke eines Psychiatrie-Insassen. Einige der Sachen sind nachgebaut, andere echt.
In Meyerhoffs Stücken verschwimmen Fakt und Fiktion. Wissen Sie immer, ob die einzelnen Geschichten wahr sind?
Das beschäftigt mich eigentlich nicht besonders, viel wichtiger ist, dass die Texte als solche funktionieren – dass sie wirken und auch unterhalten. Ich weiß, dass wahrscheinlich vieles stimmt, was darin beschrieben wird, habe aber sehr schnell beschlossen nicht nachzufragen, weil es für mich keine große Rolle spielt. Das einzige Mal, dass ich angefangen habe, Fragen nach der Realität zu stellen, war beim fünften Teil, der neulich Premiere hatte. Es geht um Joachims Zeit als junger Schauspieler in Dortmund – und da ich selbst von dort komme, hat mich schon genauer interessiert, worauf er sich bezieht.
Wird es nicht manchmal auch zu privat?
Doch, auch das ist ein schmaler Grat. Manche Erinnerungen und Erfahrungen muss man beschützen, die gehören nicht in die Öffentlichkeit des Theaters. Wenn man solche Abende macht, muss man aber grundsätzlich bereit sein, Dinge preiszugeben, die sehr privat und auch schmerzhaft sind. Es geht um elementare Themen und Situationen. Die Frage nach dem Wie der Darstellung ist oft viel ausschlaggebender als die Frage nach dem Was. Dabei haben auch die Dinge, die bewusst verschwiegen werden, ihren stummen Platz.