Eine fallende Frau

Was ist das? Da stehen ein Mann und eine Frau auf der Bühne. Lauthals atmet sie ein und während sie noch im Begriff ist auszuatmen, geben alle ihre Knochen, Muskeln und Gelenke nach, sie kann gar nicht anders, sie fällt, nicht wie ein Sack, nein, aber wie die Feder, die sie ist, so sachte, so bestimmt, so fällt sie, nein, nicht auf den Boden. Weil der Mann fängt sie, hält sie, stellt sie wieder auf. Die Frau atmet lauthals ein und während sie noch im Begriff ist auszuatmen, geht das immer so weiter. Sie fällt. Er richtet. Sie wieder auf. Aber nie bleibt es dabei und immer waghalsiger wird ihr Fallen, das ist ja gar kein Fallen mehr, das muss doch Akrobatik sein, aber seine Arme sind stark und jeden Sprung, jeden Gleitflug macht der wieder gut. Kümmert sich um diese arme Frau. Was ist denn das? Was hat denn die für Knochen? Was Muskeln? Wo Gelenke? Oh weh. Es geht ihr, glaub ich, nicht ganz gut und dann, Gott sei Dank, der Mann, der kümmert sich um sie. Und sie fällt doch so schön, ist leicht wie eine Feder und er, während er noch im Begriff ist, diesen Frauenkörper ordentlich aufzustellen, da haben wir gar keine Augen für ihn. Ein Handlanger ihrer Schönheit. Ein Butler ihrer extravaganten Knochen. Die fallen manchmal nicht nach unten, sondern springen ihn an. Sacken dann ein, so eine schöne Feder.

Das ist ein Tanzstück. Eigentlich das gesamte Repertoire des klassischen Balletts baut auf diesem Prinzip auf. Auch im zeitgenössischen Bühnentanz findet sich diese Formulierung immer wieder, und wieder, und wieder. Und wann auch immer ein Mann und eine Frau auf einer Bühne stehen, und sie sollen tanzen, dann heißt es 50:50, dass sie dann einatmet und während sie noch im Begriff ist auszuatmen, fällt sie schon wieder um. Dort wo der zeitgenössische Tanz auswandert in die Performance, verringert sich das Vorkommen dieses dubiosen Phänomens erheblich.

Wenn nun jemand aus dem Theater kommend in den Tanz hinein guckt? Da habe ich weniger Erfahrungswerte. Aber da fällt sie schon wieder, die arme Frau. Sie spricht auch nicht. Oder jedenfalls sehr wenig. Die Performance „Another great year for fishing“ von Tom Struyf, die heute als letzte Produktion im Rahmen des Stückemarktes gezeigt wurde, ist damit noch nicht als Ganze verhandelt. Eine Besprechung des gesamten Abends findet sich hier.

Die Frage die mich umtreibt, lautet aber: Wie kommt denn das, dass es im Sprechtheater diesen riesen Diskurs zu Rollenklischees auf der Bühne gibt, wir uns dauernd fragen, ob das jetzt politisch korrekt ist oder nicht oder wie wir ordentlich unkorrekt sein könnten. Dann kommt aber der Tanz, dann steht da so ein Körper zuvorderst als Körper auf der Bühne, das, macht uns das Angst? Ist das das Ende des Diskurses? Warum eigentlich. So ein Körper, der ist doch nichts ganz anderes, den haben wir alle, warum also wäre dort ein luftleerer Raum ohne Nachdenken über gesellschaftliche Zusammenhänge. Ein Raum, wo Körper fallen oder eben nicht und sie das machen, weil es doch so schön ist. Oder gibt es da eh ein Nachdenken, bloß fehlt uns die Imaginationskraft. Mann und Frau auf einer Bühne und die sollen tanzen, mhm, was wollen wir machen, probieren wir mal was aus, lass dich mal fangen, oh ja, und du fang sie auf.

Ich stelle mir vor: eine Welt, in der ein Mensch sowieso auch immer als Körper auf der Bühne steht. Eigentlich eine Welt, wo wir sowieso tanzen. Und ich stelle mir vor: nirgends auf so einer Bühne in so einer Welt findet sich dieses interessante Phänomen des Glaubens an den heilig nicht diskursiven Körper als abendfüllende Idee. Und als letztes stelle ich mir vor: dass das auch etwas über Beziehungen zwischen Männern und Frauen aussagt.

–––

Theresa Luise Gindlstrasser

Alle Artikel