Die Inszenierung „Krieg und Frieden“ von Sebastian Hartmann nach dem Roman von Lew Tolstoi ist dieses Jahr zum Theatertreffen von Leipzig nach Berlin eingeladen worden. Mit auf der Bühne steht Heike Makatsch, die seit drei Jahren als Gastschauspielerin im Leipziger Ensemble arbeitet. Ich treffe sie zum Mittagessen im „Pappa e Ciccia“ auf der Schwedter Straße im Prenzlauer Berg. Heike Makatsch kommt mit dem Fahrrad, und wir fällen binnen Sekunden die Entscheidung für den Spargelsalat und für das „du“.
Du arbeitest ja vor allem als Filmschauspielerin, was reizt dich daran, auf der Bühne zu stehen, da verdient man doch viel weniger Geld! Was ist anders?
Heike Makatsch: Nicht nur das Geldverdienen ist ein Anreiz für die Schauspielerei, die liebt man ja an sich – das Geschichten-Erzählen und in sich die Dinge zu finden, die man braucht, um Emotionen darzustellen. Bei der Filmschauspielerei habe ich das sehr im Griff. Das macht mir auch deshalb so große Freude, weil ich weiß, wie ich Temperaturen einstellen kann, wo ich was in mir finde. Ich denke auch zu wissen, was das dann später erzählt. Das Theaterschauspiel findet in einer ganz anderen Situation statt, unmittelbar vor dem Publikum, ohne die Chance es noch einmal zu machen. Ja, ich hatte geahnt, dass es eine Herausforderung ist und eine absolute Erweiterung dessen, was ich vorher gemacht habe, und dass ich nur dort lernen kann.
HT: Was meinst du mit: Temperaturen einstellen?
HM: Damit meine ich, ein gutes Gefühl dafür zu haben, wie man die Mittel nutzt, die man als Schauspieler hat (also Körper, Stimme, Emotionen, Gestus, Bewegung und so weiter), um einen bestimmten Grad an Emotion beim Zuschauer zu erzeugen. Beim Theater musste ich erst einmal erfahren, wie das auf einer Bühne geht, in einem Raum, in dem tausend Menschen sitzen. Was passiert mit dem Zuschauer in der hintersten Reihe? Das ist eine ganz andere Situation als beim Filmdreh. Wenn ich zum Beispiel ein Close-Up spiele, die Kamera ist ganz nah, dann habe ich ein ganz anderes Gefühl in mir, als wenn die Kamera am Ende des Raums steht. Denn ich weiß, was sie sieht, was sie nicht sieht, was sie entdecken kann. Und im Theater steht gar keine Kamera! Da muss man sich erstmal dran gewöhnen.
HT: Was interessiert dich an dem Stück „Krieg und Frieden“?
HM: Also, das Buch kann einen schonmal interessieren, weil es ein Spiegel einer Gesellschaft ist, im Großen und im Kleinen, im Schlachtfeld zu Hause und im Schlachtfeld da draußen. Es geht um das Menschsein – um die menschliche Existenz. Das kann einen schon mal grundsätzlich interessieren. Und wie dann aus so einem Mammutwerk von zweitausend Seiten ein konsumierbares Stück wird, das aber am Ende nicht nur den rührseligen Strang einer Liebesgeschichte erzählt, sondern es auch schafft, in den sechs Stunden diese großen Themen zu berühren, das hat mich auch interessiert. Meiner Meinung nach ist das Sebastian Hartmann geglückt.
HT: Es geht in Tolstois vierbändigem Werk um konkrete politische Verhältnisse. Wie politisch konkret bleibt ihr in der Inszenierung?
HM: Ja es geht einerseits um politische Verhältnisse, andererseits um Strukturen, Dynamiken: Was bedeutet es für den Einzelnen, in den Krieg zu ziehen? Wie klein wird der Einzelne angesichts der großen Zusammenhänge? Wie rechtfertigt man sich für das, was man tut? Am Ende des Stückes steht dann auch, wie austauschbar die Rechtfertigungen für politische Verhältnisse letztendlich sind. Insofern geht es nicht wirklich um Napoleons Feldzüge. Sie kommen zwar auch in der Inszenierung vor, aber das ist eher ein Sinnbild für den Menschen im Wandel.
HT: Inwiefern überschneiden sich für dich Theater und Filmwelt? Kommen deine Filmkollegen zu den Theaterpremieren?
HM: Also bei mir ganz persönlich: Ich bin ein Einzelkämpfer. Ich habe nicht so wahnsinnig viele Schauspielerfreunde. Ich mag meine Kollegen und mit denen rede ich dann auch während einer Produktion über die gemeinsame Arbeit, aber mein soziales Leben findet nicht in einem großen künstlerischen Schauspielerpool statt, sondern mein soziales Leben sieht sehr „basic“ aus: Kinder, Kochen, Einkaufen. Und mit meinen Freundinnen rede ich meistens über Liebe, Freunde, Stress, Kinder, Einkaufen … (lacht). Vielleicht sind die „Theatertiere“ dieser Welt dann doch ein bisschen mehr in der Thematik drin und zerfleischen sich abends in der Kantine darüber, wie Theater stattfinden soll, aber da bin ich nicht Teil von.
Ich will wissen, ob Heike Makatsch sich vorstellen könnte, in Leipzig zu wohnen. Sie sagt, dass ihr die Stadt sehr gefällt, aber wohnen? „Nö. Also ja schon. Aber nicht wirklich. Also wenn du mich ganz ehrlich fragst, bin ich schon ganz froh hier in Berlin zu wohnen.“ Der Spargelsalat kommt. Wir finden alles wahnsinnig lecker. Und reden darüber, wie man Spargel am besten zubereitet. Heike: „Ich hab letztens auch mal welchen gemacht, aber den hab ich irgendwie verkocht. Man muss den eher kürzer kochen, als man denkt.“ Wir essen. Und ich will wissen, wie es sonst so weiter geht mit Heike Makatsch und dem Theater und frage, ob weitere Theaterprojekte in Aussicht stehen.
HM: Ich dreh jetzt erstmal ein bisschen mehr. Das Theater ist auch mit der Familie nicht einfach zu verbinden. Wenn ich in Berlin ein Angebot bekäme, würde ich das sofort annehmen. Aber ich hoffe auch darauf, wieder mit Sebastian Hartmann zu arbeiten, der aus eigener Erfahrung die familiäre Situation gut einschätzen kann. Ich wünsche mir, da weiterhin Neuland zu betreten und vielleicht auch mal ein Stück mit psychologischer Dramaturgie mitzugestalten.
HT: Meinst du damit die psychologische Modulation von Figuren innerhalb einer Geschichte?
HM: Ja. Nicht weil ich das jetzt hätte missen wollen, sondern weil es einfach noch eine Erfahrung ist, die ich nicht gemacht habe. Nach „Krieg und Frieden“ haben wir Faust gemacht, aber auch auf so eine ganz eigene Art von Sebastian inszeniert, wo die psychologische Dramaturgie auch nicht so zum Tragen kam.
Heike pfeffert ganz schön viel. Und sie fragt mich, welche der Stücke im Rahmen des Theatertreffens ich schon gesehen habe. Bis jetzt lief noch nicht viel – Medea habe ich gesehen und Murmel Murmel (hab mal meine Zeichenkritiken zu beiden verlinkt). Ich sage, ich sei beeindruckt gewesen von Medea als Figur, als Frauenfigur. Ich erzähle ihr, dass wir schon mit Constanze Becker über Frauenfiguren im Theater gesprochen haben, und da frage ich Heike Makatsch doch gleich mal nach dem Feminismus.
HT: Spielt der Gedanke an den Feminismus eine Rolle in der Art und Weise, wie du dir Frauenrollen aneignest?
HM: Nein. Ich wüsste gar nicht, was das bedeutet! Ich nehme einfach eine Figur ernst. Ich nehme eine Frau ernst, so wie ich mich als Frau komplett ernst nehme und zwar sehr, und das sehe ich als die Vollendung des Feminismus. Dass man es gar nicht mehr thematisieren muss. Denn eine Frau zu spielen – denn nur das kann ich ja tun – bedeutet für mich, diese Figur schwach, stark, was immer sie gerade braucht darzustellen, nicht als Repräsentantin für eine Bewegung oder eine Gesinnung oder eine Ideologie oder wie man doch gefälligst zu sein hätte als Frau. All das spielt für mich keine Rolle.
Heike ist bis jetzt noch nicht dazu gekommen, Inszenierungen im Rahmen des Theatertreffens anzuschauen. „Ich komm viel zu wenig ins Theater oder ins Kino. Ich bin Mutter. Wenn man nicht jeden Tag sein Kind fremd ins Bett gebracht bekommen möchte, dann ist das schwierig. Es wäre nicht möglich, alles zu gleichen Teilen haben zu wollen. Klar kann man ein Kind kriegen und es dann aber nie sehen, aber ich möchte eine Balance finden. Das finde ich aber auch einen feministischen Gedanken, dass man es toll findet, mit seinen Kindern zusammen zu sein.“
Wir haben aufgegessen und Heike Makatsch muss zum nächsten Termin. Mittwoch und Donnerstag ist sie mit „Krieg und Frieden“ in der Volksbühne im Rahmen des Theatertreffens zu sehen. Ich guck auch noch mal nach Spargelrezepten.