Christian Diaz, ehemals Billeteur am Wiener Burgtheater und bildender Künstler, hielt am 12. Oktober 2013 auf dem Jubiläumskongress im Burgtheater eine Rede, in der er auf seine Arbeitssituation hinwies. Er kritisierte darin nicht nur seinen Arbeitgeber, den weltgrößten Sicherheitsdienstleister G4S, sondern auch das Burgtheater. Er bemängelte den widersprüchlichen Anspruch des Theaters, ein Raum der Utopie zu sein und gleichzeitig am eigenen Haus ausbeuterische Arbeitsverhältnisse im outgesourcten Publikumsdienst mitzuverantworten. Das Youtube-Video seiner Rede wurde inzwischen über 21.000 mal angeklickt. Auf der Konferenz „Theater & Netz“, veranstaltet von nachtkritik.de und der Heinrich Böll Stiftung, war er zum Podium „Helden des öffentlichen Auftritts – Theatraler Aktivismus in der digitalen Öffentlichkeit – Aktivistische Praxis!“ eingeladen (das Beitragsbild zeigt das Podium, v.l.n.r. Christian Römer (Heinrich Böll Stiftung, Christian Diaz, Linnea Riensberg (Publixsphere), André Brücker (Intendant Dessau)). Im Anschluss führte Hannah Wiemer ein Interview mit ihm.
Hannah Wiemer: Du bist hier bei der Konferenz „Theater & Netz“, um über Aktivismus und Internet zu sprechen. Auf dem Podium hast du den Begriff Widerspruch verwendet. Wie gehst du selbst mit dem Widerspruch um, dass dein Protest auf einmal auch zu so etwas wie deinem künstlerischen Kapital und Markenzeichen geworden ist?
Christian Diaz: Ich erlebe das als eine Gleichzeitigkeit von mehreren Rollen, in denen viele Menschen heutzutage stecken. Ich bin offiziell Kunststudent, habe aber auch einen Nebenjob im Publikumsdienst des Theaters, um finanziell über die Runden zu kommen. Da schlüpfe ich von einer Rolle in die andere. Den Nebenjob im Burgtheater habe ich schließlich zum Gegenstand einer umfassenden Recherche gemacht. Während meiner Dienste habe ich Vorkommnisse dokumentiert und so Material gesammelt. Außerdem habe ich Nachforschungen zu meinem Arbeitgeber, dem Sicherheitsdienstleister G4S angestellt. Ich bin nach England und Israel gereist, wo online die Kritik an dem Unternehmen am stärksten ist. Dort habe ich mit vielen Leuten gesprochen und Erfahrungen gesammelt. Die Aktion auf dem Kongress im Burghteater ist dann ziemlich kurzfristig daraus entstanden. Viele fragen sich: Ist das Kunst oder Aktivismus? Dabei wird sehr stark zwischen den beiden Begriffen unterschieden. Aber ich denke, dass die Grenzen da verschwimmen. Kunst kann aktivistisch sein und Aktivismus umgekehrt auch Kunst. Mir ging es darum, eine Debatte auszulösen und Kritik zu üben an den weltweiten Ausbeutungszusammenhängen und an der Abschottungspolitik der EU.
HW: In welcher deiner Rollen wirst du in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
CD: Das wird immer ganz unterschiedlich formuliert – zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Intervention, die wir Mitte April beim Radikal Jung Festival in München unternommen haben. Dabei war unsere Idee, dass Uli Hoeneß – weil er ja die nächsten Jahre im Gefängnis verbringen wird – sein leerstehendes Haus zum „Burgtheater der Refugees“ macht und als Raum für Geflüchtete und für künstlerische Arbeit zur Verfügung stellt. Wir haben eine Prozession zu seiner Villa inszeniert, ihn angerufen und ihm gedankt. In dem Zusammenhang wurde ich in der Presse als „österreichischer Aktionskünstler“ bezeichnet. Lacht. Oder ich bin der „Burgtheateraktivist“. Das ist auch lustig.
HW: Würdest du sagen, dass bei dir Aktivismus und künstlerische Arbeit eins sind? Oder machst du auch künstlerische Arbeit, die sich auf einem anderen Feld bewegt, als diese Art von Aktivismus oder Intervention?
CD: Ich würde das nicht Aktivismus nennen. Das ist eher eine herrschaftskritische Praxis, die auch ästhetische Mittel benutzt. Ich denke, dass künstlerische Strategien ein Potential haben, politische Dinge zu verhandeln. Es geht mir um denVersuch, künsterlische Mittel mit Aktivismus zu verschränken. Abgesehen von diesem eher aktivistischen Tun, bin ich auch als Musiker und Graphiker aktiv.
HW: Von dir wird am 9. Mai eine Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien eröffnet. Was gibt es da zu sehen?
CD: Ich habe versucht, ein paar meiner Rechercheergebnisse für die Burgtheateraktion so aufzuarbeiten, dass man sie sich in einer Ausstellung anschauen kann. Das ist eine Mischung aus Filmen, Hörspiel und Texten.
HW: Dein Job im Besucherdienst des Burgtheaters wurde dir nach der Protestaktion gekündigt. Hast du einen neuen Job?
CD: Nein, einen Lohnjob habe ich gerade nicht. Ich stecke noch in den Nachwehen der ganzen Projektsache. Ich muss mir aber einen Job suchen. Lacht.
HW: Du hattest die Aktion in einer Gruppe vorbereitet, die eben auf dem Podium als „Zelle“ bezeichnet wurde. Was macht die Zelle zurzeit?
CD: Unser Kollektiv nennt sich Unkoordinierte Bewegung. Wir sind ein Zusammenschluss von Leuten aus verschiedenen künstlerischen Bereichen. Es ist noch nicht ganz sicher, was wir als nächstes machen. Jetzt gerade sind einige beim cobra.Fest in Hannover. In Heidelberg gibt es am 14. Mai eine Puppenshow. Da werde ich auch ein kleines Konzert geben. Es sind auch noch weitere Sachen in Planung, aber die sind noch nicht spruchreif.
HW: Was hast du für eine Verbindung zum Theater? Bedeutet dir Theater etwas, oder war das Zufall durch deinen Job im Besucherservice?
CD: Ich finde toll, dass sich im Theater so viele verschiedene künstlerische Formen miteinander verbinden. Wie Stadttheater funktioniert, finde ich in vielerlei Hinsicht fragwürdig. Ich habe zwei Jahre als outgesourcter Kartenabreißer in so einem Theater gearbeitet und dabei aus dieser Perspektive von unten einige Aspekte mitgekriegt, die ich gruselig fand. Aber ich denke schon, dass man mit der ästhetischen Form des Theaters tolle Sachen machen kann – wobei die Frage auch ist, was Theater ist. Mich interessiert es besonders, wenn sich die künstlerischen Formen vermischen. Es wird oft zu stark zwischen der bildenden Kunst und dem Theater getrennt. Ich sehe auch, dass das verschiedene historische Räume sind. Aber ich finde es spannend, wenn nicht ganz klar erkennbar ist, was es jetzt genau ist.
Die Berliner Zeitung ist Partner des Theatertreffen-Blogs.
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