Lichtausfall am NGO-Pool

Der Kolonialismus ist nicht verschwunden, er hat bloß ein freundlicheres Gesicht. Das zeigt Rainer Merkel mit „Lauf und bring uns dein nacktes Leben“ am Stückemarkt.

Der Kolonialismus ist nicht verschwunden, er hat bloß ein freundlicheres Gesicht. Das zeigt Rainer Merkel mit „Lauf und bring uns dein nacktes Leben“ am Stückemarkt.

Die gute Nachricht: Es gibt sie noch, die echt dramatischen Stücke. Keine Aneinanderreihung von narrativen Endlosmonologen, sondern schlagfertige, witzige Szenen mit drei, vier und mehr Beteiligten. O Wunder! Rainer Merkel hat so ein Stück geschrieben, es heißt „Lauf und bring uns dein nacktes Leben“. Am Samstag wurde es in der Kassenhalle von den hinreißenden Schauspielern (ja, sie werden alle genannt) Jule Böwe (Charlotte), Andreas Döhler (Edgar), Christoph Gawenda (Max), Ulrich Hoppe (Reno) und Katrin Wichmann (Conny) zum Leben erweckt. Friederike Heller, die die Einrichtung übernommen hat, hat es dabei verstanden, den eigentlichen Text zu Wort kommen zu lassen – und kam sogar ohne Soundteppich und Lichteffekte aus. So eine richtig schöne Lesung eben.

Ein Mantel aus alten Kuscheltieren

Reno ist der Leiter einer NGO in Afrika, die sich „Every Day Ghandi“ nennt und dort den afrikanischen Kindern helfen will, denn die Kinder „das sind die eigentlich Gefährlichen, die Gewalttätigen, die Grausamen. In was DIE sich verwandeln können, das können Sie sich gar nicht vorstellen.“ Conny und Max arbeiten auch für „das Projekt“ (das sie „lieben“!) und haben eine Affäre, die sich jedoch schnell zerschlägt, als Max sich vermutlich mit Ebola angesteckt hat und Conny erkennt, dass sie in den afrikanischen Jungen Jeffrey verliebt ist. Jeffrey, das ist das Problem, hat vielleicht den Gesundheitsminister umgebracht und außerdem hat er mit einem großen Stein nach Conny geworfen. Edgar telefoniert oft mit seinem Sohn in Deutschland, der ihm gerade einen Mantel aus alten Kuscheltieren näht. Charlotte hatte früher eine Affäre mit Reno und schlägt ebenfalls regelmäßig im Gebäude von EDG auf, um zum Beispiel Conny weise, weiße Ratschläge zu geben, nämlich am Strand kein Yoga zu machen, bei dem sie aussähe wie eine „Gummi-Sex-Puppe“.

Lachen und Erschauern

Man muss nicht halstief im postkolonialen Diskurs stecken, um zu erkennen, dass Rainer Merkel in seinem Stück das Problemprojekt Entwicklungshilfe zwar mit viel Humor, aber auch mit kalter Präzision bloßlegt. Die Deutschen in Afrika bleiben ganz konsequent unter sich, haben sich eingeschlossen in ihrem Entwicklungshilfegebäude und der kalte Schweiß bricht ihnen aus, wenn die Security ausfällt. In diesem Deutschbiotop gärt die ganze Geschichte der kolonialen Eroberung weiter, etwa wenn sie den Sicherheitsmann EGO nennen, weil er einmal so viel Freude an einem Ego-Shooter-Spiel gezeigt hat. Wenn es sie aufregt, dass die Pool-Beleuchtung ausfällt, für die man monatlich so viel Geld hinblättert. Wenn sie sinnierend feststellen, dass in den afrikanischen Städten neuerdings so eine Lieblosigkeit herrsche. Wenn sie überzeugt sind, dass die Afrikaner keine Trauer empfinden können, weil sie doch bei Beerdigungen nur auf Reis mit Hühnchen versessen seien. Afrika zu sehen, das geht immer nur durch die deutsche Brille: das führt der Text sardonisch vor. Da muss man lachen und erschauern.

Und jetzt die schlechte Nachricht: es gibt gerade keine. Auch mal schön.

Lauf und bring uns dein nacktes Leben
von Rainer Merkel

Szenische Lesung am Stückemarkt
Einrichtung: Friederike Heller
Dramaturgie: Ralf Fiedler
Mit: Jule Böwe, Andreas Döhler, Christoph Gawenda, Ulrich Hoppe, Katrin Wichmann

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Eva Marburg

Freie Dramaturgin, Autorin und Journalistin, Berlin. Studierte Theater- und Literaturwissenschaft in Berlin und New York und arbeitet neben ihrer dramaturgischen Tätigkeit als freischaffende Dozentin für Kulturgeschichte. Gegenwärtig studiert sie zudem Kulturjournalismus (MA) an der Universität der Künste Berlin.

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