Richtig lecker Arsch

Suche Karte!
Zahle 100.000 Millionen Mark.
Ich möchte doch so gerne nochmal Castorf sehen.
So einen respektlosen und radikalen Zugriff auf alte Stoffe.
Der hat Baal so was von zertrümmert, dass er sogar vom Richter verboten wurde!
Fünf Stunden will ich im Sessel hängen, denn das reinigt mich innerlich.
Es ist ja so: Wer dramaturgische Spannungsbögen baut, der hat’s anscheinend nötig.
Für meine Augen ist es außerdem besser, wenn die Gesichter auf Leinwänden schön groß zu sehen sind.
Die Belästigung der Welt ist allgegenwärtig. Ich persönlich schaue mir deshalb im Theater am liebsten etwas über Theater an. Wenn ich ins Theater gehe, will ich nicht das gleiche sehen wie in der Tagesschau, sondern ich möchte mich gerne mit dem Theater beschäftigen, denn das Thema brennt mir einfach unter den Nägeln: das Theaterspielen, die Theaterdekonstruktion, der Theatertheaterkommentar.
Aber auch heiße Mädels.
Da hat mich Castorf noch nie enttäuscht, wenn ich ein paar geile Häschen sehen wollte.
Der Mann versteht was von High Heels. Der Mann weiß, was Männer sehen wollen. Wie er die da so inszeniert, offene Bluse, Strumpfhose, Lippenstift. Richtig geil. Spricht ja nichts dagegen, dass man Anspruchsvolles auch mal lecker verpackt.
Ich finde das voll Panne, wenn Leute sagen, das Volksbühnen-Ensemble bestehe nur noch aus Castorfs Ex-Frauen. Das ist doch seine Sache. Wozu ist man denn Chef? Ich glaube, da schwingt extrem viel Neid mit.
Und wer ist heutzutage sonst noch so sperrig und widerborstig? (Außer Migräne vielleicht.) Es ist ja auch für Schulklassen interessant zu sehen, worüber sich Zuschauer vor 10, 15, 20 Jahren aufgeregt haben.
Momentan sind Plakate an der Volksbühne aufgehängt: „Verkauft“, „Game over“, „Fuck off“, „Holy shit“. Dazu muss man wissen: Das steht dort, weil sie dem Castorf gekündigt haben. Weil er zu groß geworden ist.
Jetzt soll ein anderer kommen. Jeder weiß, dass der nicht gut sein kann. Der ist nämlich nett. Nette Leute haben in der Kunst nichts verloren.
Anbrüllen, das macht kreativ.
Arschlöcher bringen Kunst hervor.
Eine Stadt wie Berlin braucht Castorf.
Sonst ist es plötzlich wie in München.
Das muss man auch mal sagen dürfen, oder.
Also hat jetzt jemand eine Karte für mich?

–––

Matthias Weigel

Matthias Weigel, geboren 1986 in Marktredwitz, studierte in Erlangen Theater- und Medienwissenschaft. Er arbeitet als Redakteur bei nachtkritik.de und ist Projektleiter Second Screen für die Serie About:Kate (Arte) bei Ulmen Television.

Alle Artikel