Seltsam, im Nebel zu wandern

Erneut hat der Bühnenzauberer Thom Luz einen Abend über die Flüchtigkeit des Daseins geschaffen. Unter Wasserdampf und Glykolen sucht "Girl from the Fog Machine Factory" dabei nicht weniger als den Kern des Lebens.

Erneut hat der Bühnenzauberer Thom Luz einen Abend über die Flüchtigkeit des Daseins geschaffen. Unter Wasserdampf und Glykolen sucht „Girl from the Fog Machine Factory“ dabei nicht weniger als den Kern des Lebens.

Ein Wort, das in Bezug auf die Arbeiten des Regisseurs Thom Luz’ regelmäßig verwendet wird, ist: schön. Zugegeben, kein übermäßig revolutionärer Begriff, aber in seiner Einfachheit doch fast erstaunlich: Darf Theater denn schön sein? Ist denn nicht längst Konsens, dass Theater politisch und kritisch sein muss und Schönheit allenfalls als Köder taugt?

Auf den ersten Blick ist „Girl from the Fog Machine Factory“, mit dem Thom Luz nun beim Theatertreffen gastiert, vor allem schön. Aber ebenso: fragil, vergänglich, verhaucht, zauberhaft, ruhig und beschwingt. Doch die Werkstatt kommt zögernd in Gang: Die Nebelmaschinenfabrik nimmt den Betrieb auf, es dringt Gesang herein, mal knarzt und piept es, dann gehen die Lichter an. Da und dort pustet eine Maschine eine Nebelwolke heraus. Die Bühne wirkt wie der verstaubte Dachboden von Großeltern, auf dem ein altes Schnurtelefon, Radio und Tonbandgerät inmitten von Pappkartons zu finden sind.

Mitten in der Trickkiste

Die Luz’schen Zutaten sind Nebel und Musik: Aus ihnen formt er die verschwommene Erzählung über eine Fabrik, deren Produkt Flüchtigkeit heißt. Wo „Traurige Zauberer“ vor zwei Jahren beim Theatertreffen hinter die große Illusionsmaschine hinter Samtvorhängen andeutete und seine Charaktere traurige Tricks mit Rauch in Kisten vorführen ließ, spielt „Girl from the Fog Machine Factory“ mitten in deren Produktionsstätte, quasi in der Trickkiste selbst. Die Besinnung auf die analoge Technik kann als Absage an eine digitale, körperlose Welt gelesen werden, von der die Menschen in der Fabrik meilenweit entfernt sind: Aus Schall und Rauch entsteht ein kleines, abgeschottetes Universum, von Mathias Weibel wunderbar vertont, nur durch ein Telefon mit dem Draußen verbunden. Immer wieder klingelt es. Es sei nicht spektakulär genug, heißt es einmal am anderen Ende. Genau in dem Moment, als sich bereits eine gewisse Gemütlichkeit breitgemacht hatte.

„Jede Nebelschwade ist nur so gut, wie die Geschichte, die sich dahinter verbirgt“, heißt es im Stück: In diesem Fall sind die Wolken aufregender als die in schematischen Bildern erzählte Liebesgeschichte zwischen zwei Beschäftigten der Fabrik. Fast tragischer als die Liebesmüh‘ zwischen den Menschen scheint jene zwischen zwei Rauchringen zu sein, die auf ihren Laufbahnen aneinander vorbeischweben, sich ewig verpassen, bis sie sich in Luft auflösen. Dieses Ephemer-Theater ist aus Atmosphäre gemacht, die weder Drama noch Aktion verspricht. Es zwingt zu Entschleunigung und zum Wahrnehmen feinster Details. Wann bekommt ein Rauchring schon Szenenapplaus?

Nichts lässt sich halten

Wie bei einem verschwommenen Foto macht der Nebel das Bild zwar unschärfer, aber auch die Neugier größer. Nur konsequent, dass die Übertitel zu den knappen, schweizerdeutsch-englisch-französischen Sprachsprengseln großkörnig auf eine Wand projiziert werden – wie durch Milchglas lässt sich der Text entziffern. Und so langsam, wie sich der Nebel über dem Publikum legt, so bedächtig kristallisiert sich die Frage nach dem Vergänglichen heraus: Kann das festgehalten werden? Soll es das? Immer wieder fotografiert eine*r aus dem Ensemble mit Blitz ein Nebelgebilde. Das Foto wird niemals wiedergeben, wie kurzzeitig magisch die Sache aussah.

Luz baut in seinen Arbeiten wortwörtliche Luftschlösser auf: Mal sind die Dampfwolken Schornsteine im Industriegebiet, mal ist der Nebel eine wärmende Decke, ein Becken, ein Brunnen oder der Dunst unter einem Berggipfel. Immer ist er der temporär greifbare Beweis für das Vergehende und Unberechenbare: Er kondensiert, woraus das Leben besteht. „Ich verstehe nicht alles, aber mir gefällt die Atmosphäre“, sagt das Mädchen in der Fabrik. Ein kleines Zugeständnis an ihr Publikum – das Verstehen ist unwesentlich. Ein Theaterabend, so vergänglich wie sein Material. Puff! Schön. Und vorbei.

Girl From The Fog Machine Factory
von Thom Luz
Raum, Lichtdesign, Inszenierung: Thom Luz, Musikalische Leitung: Mathias Weibel, Kostüm: Tina Bleuler, Katharina Baldauf, Sounddesign: Martin Hofstetter.
Mit: Mathias Weibel, Mara Miribung, Samuel Streiff, Sigurður Arent Jónsson, Fhunyue Gao.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

Unser Video-Interview mit Thom Luz finden Sie hier.

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Lili Hering

In Wien geboren, aufgewachsen, Theater erfahren. Während des Studiums in Berlin und Istanbul im Film- und Festivalbereich gearbeitet, unter anderem in Tanger, Berlin und Locarno, und nebenher geschrieben. Durch den Master in Kulturjournalismus verstärkt zum Schreiben und zurück zum Theater gefunden.

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