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AA.
Das Theater
ist der Zustand,
der Ort,
die Stelle,
wo die menschliche Anatomie begriffen
und durch diese das Leben geheilt und registriert werden kann.
BB.
Ja?
Mir ist jetzt, wie nach einer langen Nacht mit Kokain
Friedrich Schillers Essay „Die Schaubühne als moralische Anstalt“ lieferte Vorlage für die einen – Kampfansage für die anderen. Bis in die 68er-Generation, verkörpert durch Peter Stein, Peter Zadek oder Claus Peymann galt die Prämisse, dem bis dato existierenden Bürgertum vorzuführen, dass es seinen gesellschaftskritischen Anspruch, den es so gerne konsumieren würde, längst über Bord geworfen hatte. Spätestens aber seit dem Theater von Samuel Beckett oder Antonin Artaud wird die Befremdlichkeit dieser Herangehensweise thematisiert, wird die zerrissene Decke der moralischen Integrität gelüftet. „Theater ist Krankheit“ bemerkt Artaud lakonisch. „Kunst ist Krankheit, aber keiner möchte sie entbehren“ subsumiert Dalí.
Das zeitgenössische Theater schließt dieses Bewusstsein mit ein, sucht immer neue Gründe Theater zu verändern, damit es sich selbst in seinen wichtigsten Punkten treu bleiben kann: Im Darstellen des Undarstellbaren, im Schaffen eines Ausnahmezustands, in dem Gesetze , Vorschriften, Konventionen, Einschränkungen außer Kraft gesetzt sind.
Ein paar Stunden Unsterblichkeit
Wenn Theater unsere Realität negiert und eine andere Wirklichkeit behauptet, blitzt auf, was so oft verloren geglaubt: Etwas anderes, eine verheißungsvolle Möglichkeit, die Verführung und Verlockung zu etwas Fremdem, Unbekanntem. Strukturen und Konstrukte hinter gesellschaftlicher Wirklichkeit offen legen – durch die Behauptung einer anderen Wirklichkeit, durch das Negieren unserer Realität. Nach Christoph Menke besteht die Kraft der Kunst nicht darin Erkenntnis, Politik oder Kritik zu sein, sondern die Kraft der Begeisterung, der Entrückung, auf den Künstler, Zuschauer und Kritiker zu übertragen.
Ich will theatralisches Heroin, LSD, China White. – Wladimir Sorokin
In diesem Sinne ist die Grenzüberschreitung des Ästhetischen eine, die uns das verlernen lässt, was wir als soziale Subjekte eingeübt haben. Und in diesem Sinne sollte ein Theater ein Theater sein, das herauszufinden versucht, wie man sich mit einem gesellschaftlichen Dispositiv auseinandersetzen kann und: wie man ein gesellschaftliches Dispositiv aus-ein-ander-setzt – gleich ob bürgerliches Erzähltheater oder Theater der Dekonstruktion:
Theater muss mannigfaltig sein.
Es reicht nicht, dem Publikum auf der Bühne zu präsentieren, was es augenscheinlich erwartet, was es kennt, was es vor der Haustüre abholt. Es braucht keine Formen von „Zielgruppen-Theater“, welches unter dem Deckmantel Marketing Identitätskonstruktionen in Form von Stereotypen auf der Theaterbühne wiederholt, damit es einen „angeht“. Schon Deleuze beschreibt den Wandel von der Disziplinargesellschaft zur Kontrollgesellschaft durch Marketing als Konzept der sozialen Kontrolle. Alltäglich wird mir suggeriert, welcher Zielgruppe ich marketingtechnisch angehöre. Ich möchte aber nicht analysiert werden. Ich möchte nicht, dass etwas zugeschnitten wird auf eine Annahme von mir. Ich möchte es auch kennenlernen dürfen, das Verschlossene, das Verborgene, das Schwierige.
Wo ich keine Zielgruppe sein möchte, ist im Theater.
Denn genau jene Mannigfaltigkeit, die uns fehlt, die Pluralität, die unsere Gesellschaft braucht, um Phänomenen wie Pediga begegnen zu können, die sollten wir doch wenigstens im Theater denken. Wenn wir die Gewalt auf der Straße verachten, dann sollten wir die Gewalt des Theaters neu erfinden und nicht die Strategien der Gesellschaft, die wir kritisieren möchten, nachahmen. Theater hat seit jeher gezeigt, was es ist: ein Spiel. „Das Theater als moralische Anstalt ist absolut amoralisch und verfügt lediglich über eine einzige erzieherische Funktion: immer wieder neue Generationen von Theatersüchtigen heranzuziehen.“ (Wladimir Sorokin)
Wenn Theater eine Droge wäre, wie verändert man dann die chemische Substanz?
Auf dass wir im Theater die Gefühle finden, die wir sonst woanders suchen! Auf ein Theater, so mannigfaltig, so anders und fremd, dass es Zielgruppen nicht nötig hat. Auf ein Theater, das neue Formen und Begriffe erfindet, um das zu beschreiben, was sonst nicht einmal gedacht wird.
Denn: Nur wenn man das Konstrukt Realität zu denken aufhört, kann man die prinzipielle Konstruiertheit von gesellschaftlichen Zuschreibungen entlarven. Die treibenden Mechanismen, die uns weismachen sollen, es gäbe keine anderen Auswege, Lösungen, Optionen. Theater sei mannigfaltig, sei fremd, sei die Option! Abgerissene Knöpfe, zertretene Brillen, und ein Mädchen in der dritten Reihe, dem die Sinne schwinden – das ist der Lohn.
Anmerkung der Redaktion: Die dem Text vorangestellte Forderung stammt von Antonin Artaud. Er ist AA.