Das Theater verlässt das Theater. Stadt, Straßen, öffentlich zugängliche Gebäude wie Malls oder Banken dienen als Bühne oder als Auslöser für künstlerische Handlungen. Zwei Wochen lang erkundeten die Stipendiaten des Internationalen Forums das Inszenieren von Öffentlichkeiten in den Workshops mit Stefan Kaegi, Janez Janša und raumlaborberlin. Heute führten sie uns an ausgewählte Orte in Berlin.
Hier noch die beiden anderen Beiträge unseres Berlin-Schwerpunkts: Teil I (Stückemarktpreisträgerstück „Jonas Jagow“ will die Hauptstadt zerstören) und Teil II (Abrechnung mit Berlin als Künstlerstadt). Und der TTtv-Mitschnitt der Forumspräsentationen.
Ku’damm Karree. Aus dem Workshop mit Stefan Kaegi
Man muss sich das Ku’damm Karree als einen gestrandeten Wal inmitten des Touristenstroms vorstellen. Eine Ruine, deren Gruselpotential durch den unterirdischen Luftschutzbunker aus der Zeit des Kalten Kriegs ins Unermessliche steigt. Im Ku’damm Karree, das wohl mal ein prosperierendes Einkaufszentrum war, reiht sich eine leerstehende Gewerbefläche an die andere: Altberliner-Kneipe an Damenschneider an Porträtmaler. Es zieht. Ein Ort wie geschaffen für Stefan Kaegis urbane Interventionen; kein Wunder, dass die letzte Etappe seines aktuellen Projekts „Remote Berlin“ nur ein paar Häuser von hier entfernt endet. In drei Gruppen erkunden wir diesen seltsamen Ort. Den schönen Umstand, dass die Forumsteilnehmer aus der ganzen Welt angereist sind, macht Kaegi sich zu nutze, indem er jeweils vier von ihnen als Guide engagiert, die uns ihre Heimatländer zeigen, performativ natürlich. Tschechien liegt im Hinterhof, wo wir unseren liebsten Volkstanz vorführen sollen (oder das, was wir dafür halten, denn man sieht, dass die Tanzschulen dieser Tage keinen großen Zulauf mehr haben, ein Ballettschuleschild bröckelt vor sich hin), Indien liegt im Ladenlabyrinth, das heißt jenseits des Schaufensters, das ein verkappter Künstler angemietet hat, dessen Porträtversuche für den Tourguide zur imaginären Ahnengalerie werden. Bis auf die Zugspitze sind es nur ein paar Rolltreppen, untermalt von den umsichtigen Hinweisen unserer Bergführerin, man möge nicht ausrutschen. Auf dem Gipfel angelangt, umfängt uns allerdings kein Alpenpanorama, sondern nur das Behördengrau der Teppichböden, also schließen wir die Augen. War das nicht ein Vogelziwtschern neben unserem Ohr? Und schließlich führt uns eine der Forumsteilnehmerin nach Jakutien (ich schäme mich für meine geografische Ignoranz und muss googeln): Durch leerstehende Büroflure hindurch, die aussehen wie die Kulisse in Stromberg, geht es auf die Dachterrasse des Gebäudes. Wir lernen: Einst waren die oberen Etagen des Ku’damm Karrees der Sitz einer Treuhandgesellschaft. Vermutlich wird das ganze Gebäude samt Bunker bald abgerissen. Auf der Terrasse binden wir Schleifen an einen Zweig (gute Wünsche, die der Wind mittragen wird) und tanzen einen traditionellen Kreistanz. Ein Mitarbeiter des Sicherheitspersonals, der uns nach oben begleitet hat, verrät, dass kommende Woche noch einmal „welche wie wir kommen“. Vorschlag an die Bezirksverwaltung: Gebäude stehen lassen, Theater einquartieren.
Uhlandstraße und Kassenhalle im Festspielhaus. Aus dem Workshop mit Janez Janša
Wenn eine rund vierzigköpfige Menschenschlange Hand in Hand über den Ku’damm zieht, muss das Theater sein. Das Kollektiv ignoriert rote Ampeln, lässt Schaulustige stehen (Ansage: nicht sprechen!) und nicht einmal der strömende Regen kann ihm etwas anhaben. Zurück im Festspielhaus nehmen alle Kettenglieder Platz an einer Tafel, vor jedem liegt ein Stück Zucker auf schwarzem Papier. Mithilfe unserer Kreditkarten sollen wir das Zuckerstück zu Pulver zerhacken, dann einen Geldschein rollen und diesen ins Nasenloch stecken. Nur schnupfen brauchen wir die weißen Brocken nicht; Assoziationen zu illegalen Substanzen sind vermutlich erwünscht. Anschließend werden sämtliche Kreditkarten nach dem Zufallsprinzip verteilt. Wie sehr vertrauen wir den Leuten am Tisch? Werden wir unsere Kreditkarte zurück bekommen, die ja so etwas ist wie unsere verlängerte Existenz? Der slowenische Performancer Janez Janša lotet die Grenzen zwischen Individuum und Gesellschaft aus und untersucht, was es bedeutet, seine Identität zugunsten des Kollektivs aufzugeben. Während die Teilnehmer des Workshops mehrere Tage um ihre Kreditkarte bangten, bekommen wir unsere schon nach zwanzig Minuten zurück. Dass Kreditkarten tauschen illegal und streng verboten ist (nach den Geschäftsbedingungen der Banken), darauf hat uns die Mitarbeiterin einer Bank in ihrem schlechten Beamtenenglisch als Videoeinspieler bereits hingewiesen.
Mauerstreifen, Nähe Moritzplatz. Aus dem Workshop mit raumlaborberlin
Die Eastside-Gallery kennt wohl jeder. Was aber bleibt von den anderen Orten übrig, an denen einst die Berliner Mauer stand und was passiert dort heute zwischen „Gedenkstättenschluckauf“ und „Aufarbeitungsschluckauf“? Raumlaborberlin stellte in einer von allen Teilnehmern kommentierten Diashow ihren Transit durch die Stadt im Rahmen ihres Workshops vor: Sie radelten auf dem Mauerstreifen entlang, besuchten Gedenkstätten (Checkpoint Charlie, Bernauer Straße) und wandelten an einem Feiertag die menschenleere Friedrichstraße entlang, die wie „ein merkwürdiger Installationsparcours“ wirkte. Erkundeten die Gegend um den Moritzplatz und fanden dort „die letzte Wiese“, eine „Leerstelle im Masterplan der Stadt, mit der man umgehen muss“. Dort suchten sie Anwohner auf, die sowohl Bau als auch Fall der Mauer erlebt hatten. Fragten nach, was sich verändert hatte. Wühlten sich durch „Hundescheiße“, trafen „Kifferpärchen“, buddelten Löcher, verbauten vier Meter lange Holzlatten. Das Ende des Workshops ist sein Anfang: Heute Abend sind alle eingeladen zur feierlichen, ja was? Inbesitzname? Rückeroberung? Nutzbarmachung? der brachliegenden Fläche. Vom Moritzplatz die Stallschreiberstraße reingehen. Hunde sind ausdrücklich erwünscht. Gegrillt wird auch.