Man denke sich Andreas Kriegenburgs „Diebe„-Inszenierung ohne das gigantische Schaufelrad auf der Bühne. „Das letzte Feuer“ ohne das Karussell. Seinen „Prozess“ ohne das riesige Auge. Was wären Kriegenburgs Inszenierungen ohne die metaphernstarken Bühnen? Überlegungen zu den Arbeiten eines Regisseurs, der sich momentan an mechanischen Bühnenbildern abarbeitet.
Finn zieht die Daunendecke über seinen Körper und will nie wieder aufstehen. Er liegt nicht im Bett, sondern hängt auf der schräg empor ragenden Schaufel eines Mühlenrads. Nur der überstehende Rand stoppt seinen Fall, wenn sein Körper über den Boden rutscht. Das Rad dreht sich rückwärts und bald ist Finn weg vom Fenster, vom Publikum, von der Welt. Nächste Schaufel, nächste Szene. Linda sitzt unterm Mühlenrad am Kaffeetisch und spricht mit ihrem imaginierten Ehemann. Ein Stückchen Heimat mit aufgeklebtem Radio an der Schaufelwand, ein Moment des Glücks, während die Musik sie einlullt. Dreht das Rad sich weiter, verschiebt Linda ihre Wohnungseinrichtung und wird von der nächsten Schaufel verschluckt.
Die Mühle lässt sich elegant bespielen
Von der Mechanik dieses Rads hängen die Schauspieler in Kriegenburgs Inszenierung des Dea-Loher-Textes „Diebe“ ab: An den Mühlenflügeln stößt man sich nicht nur den Kopf, sie können einen auch mühelos von der Bühne schippen wie Schnee von der Straße. Aber nichts dergleichen passiert, denn diese Maschine lässt sich elegant bespielen, hat man ihre Präsenz akzeptiert. Wenn Familie Tomason im Ostseeurlaub an den Dünen spaziert, schauen im Sturm die Köpfe hinter einer Schaufel hervor, und Thomas rettet sich nur mit Not am Rand vor dem Abrutschen. Man kann eine Schaukel am Schaufelrand aufhängen und nach oben schweben. Man kann Bilder an die Wand hängen. Oder ins Leere stürzen.
37 Szenen hat Dea Lohers Stück, 37 Mal dreht sich das Mühlenrad und spült damit Leben und Glück auf und von der Bühne. Andreas Kriegenburg verschafft den Schauspielern damit einen fließenden Auf- und Abgang. Er hat die Bühne selbst entworfen, diese Mühle, die nicht zermalmen will. Sie hält an, wenn eine Figur spricht. Er nennt sie „eine Mischung aus übergroßem Kinderspielzeug, einem Wasserrad, das man in den Zeitfluss stellt, und einer Maschine, die sich mit der Frage beschäftigt, wie viel Sinn ich im Leben habe und wie viel nur Motorik des Alltags ist.“ Ein gewaltiges, plakatives Bild für das Schicksalsrad des Lebens.
Es gibt mittlerweile zahlreiche Produktionen, bei denen Kriegenburg sowohl Regie führte, als auch die Bühne entwarf, aber beide Prozesse bleiben für ihn unverbunden: „Das sind streng getrennte Denkebenen. Ich baue nicht für den Regisseur in mir die passgenauen Bühnen.“
Das Hamsterrad des „letzten Feuers“ nervt in der Endlosschleife
Bei „Diebe“ wirkt es auf den ersten Blick, als hätte Kriegenburg die Bühne seiner Inszenierung von Dea Lohers Erfolgsstück „Das letzte Feuer“ um 90 Grad gedreht und eins zu eins übertragen. Wie ein Karussell bewegt sich die Drehbühne von Anne Ehrlich beim „letzten Feuer“ im Kreis und zeigt in einer Endlosschleife die kleinbürgerlichen Wohn- und Badezimmer der Figuren. Allerdings, und hierin liegt der entscheidende Unterschied, dreht sich dieses Hamsterrad zwei Stunden lang mit gleicher Geschwindigkeit im Kreis, ohne anzuhalten. „Wer Text hat, ist zu sehen“, heißt Kriegenburgs Grundregel im Umgang mit dieser Eigendynamik.
Was die ersten zehn Minuten des „letzten Feuers“ in seiner Metaphorik gefangen nimmt, wird danach zu einem enervierenden Spießrutenlauf. Keine Szene kann von den Schauspielern ausgespielt werden. Ständig laufen sie Gefahr, in die hintere Bühnenhälfte gekreiselt zu werden. Wegen der erzwungenen Spontaneität nennt Kriegenburg diese Inszenierung seine spielerischste. Aber genau das Gegenteil wird vermittelt: Die szenische Darstellung muss hinter der erschlagenden Bühnenmetapher zurück stehen.
Die Wucht seiner Bühnen findet der Regisseur allerdings reizvoll: „Einen Widerstand über eine starke bildliche Setzung zu haben, ist ein Vergnügen, mehr denn eine Behinderung“, sagt er. „Es gibt ja nichts Langweiligeres, als ein Bühnenbild, das man beim ersten Draufschauen in seinen Möglichkeiten durchschaut.“ Aber gerade die Wucht und Symbolkraft ist es, die Kriegenburgs Bühnen leicht erfassbar macht.
Seine „Prozess“-Bühne ist eine Herausforderung für die Schauspieler
Bei seiner selbst entworfenen Bühne zu Kafkas „Prozess“ an den Münchner Kammerspielen, eingeladen zum Theatertreffen im vergangenen Jahr, hat sich Kriegenburg, übrigens gelernter Tischler, an ungeahnten Möglichkeiten übertroffen. Auf einer riesigen schrägen Ellipse bewegen sich seine acht Herr K.s, sie ist die Iris eines alles überwachenden Auges. Die Pupille liegt als steil gekippte Holzscheibe dahinter. Fast senkrecht kleben Schreibtisch, Bett, Stuhl auf dieser Schräge – eine Herausforderung für die Schauspieler, die entgegen der Schwerkraft zum Teil entspannt auf dieser Schräge zu sitzen haben. Auch dies eine hoch mechanisierte Bühne, die äußere Ellipse dreht sich fortwährend im Kreis. „Ich arbeite mich an diesen mechanischen Bühnen gerade ab“, bestätigt er. „Die Verknüpfung von Mechanik und Inhaltlichkeit interessiert mich. Ich will sehen, wie weit man damit gehen kann.“
Verstellt die Mechanik den Zugang zum Inhalt?
Dabei läuft er immer Gefahr, die Inhaltlichkeit der Mechanik zu unterwerfen. Die Metapher droht in ihrer starken ästhetischen Setzung, jedes Wort zu übertönen. „Bei einem starken Bühnenbild“, so Kriegenburg, „kann man mit dem, was darüber hinaus erzählt werden soll, viel freier umgehen.“ Die Bühne vermittelt also, was dann sprachlich ausgelassen werden kann.
Es ist ihm aber gar nicht daran gelegen, visuelle Ideen nur aus sich heraus zu entwickeln: „Auch wenn es einen Teil von Provokation gibt, den ich mir damit bereite – ich kann mich natürlich nicht selbst überraschen.“ Dass mit einem zweiten kreativen Augenpaar eine komplexere Bühne entsteht, hat sich beim „letzten Feuer“ allerdings nicht bewahrheitet. Die Selbst-Provokation funktioniert bei Kriegenburgs eigenen Bühnenarbeiten immer noch am besten.