Begleitend zum Festivalprogramm diskutiert das Theatertreffen dieses Jahr Genderfragen. Doch anstatt die Debatte als Möglichkeit zu begreifen, tradierte Geschlechterbilder zu hinterfragen, wird unter dem Stichwort Gender hauptsächlich zum Karrierenetzwerken aufgerufen.
Weitere Veranstaltungen zum Thema:
Mittwoch, 18.5., 18 Uhr, Oberes Foyer im Haus der Berliner Festspiele: „Feminismus: Heute ein Unwort?“
Samstag, 21.5., 19 Uhr, Plenarsaal der Akademie der Künste: „Fucking Feminists?“
„Gender your role!“ schallt es durch die Gänge des Hauses der Berliner Festspiele, und während die Blogger_innen noch überlegen, ob „to gender“ überhaupt ein Verb ist, hat uns der Imperativ bereits eingeholt. Jetzt wird, so steht es in der hundertfach reproduzierten Flyer- und Handzettelverordnung, debattiert am Theatertreffen, deba-tt-iert nämlich, und zwar fix. Weil wir als artige Intellektuelle alle fleißig Judith Butler auswendig gelernt haben, ist es bloß eine Frage der Zeit, bis das Wort „Performativität“ fällt. Und damit wäre auch der Zusammenhang zwischen „Gender“ und „Rolle“ geklärt: Es war doch schließlich immer schon ein Theater mit dem Geschlechtsleben!
Doch wie kann so eine Debatte aussehen? Was haben Theater und Gender einander zu sagen? Was ist in diesem Rahmen denkbar, was nicht? Eine Idee davon, was das Theatertreffen unter Gender versteht, bekommt man in Christina Haberliks Ausstellung, „Regiefrauen: Ein Männerberuf in Frauenhand“, die am Donnerstagnachmittag in der Akademie der Künste eröffnet wurde. Zum Sektempfang im schicken Dachfoyer mit Blick auf den Reichstag und das Brandenburger Tor hat sich eine beinahe ebenso schicke Gesellschaft eingefunden. Noble Jacketts, Seidenschals und spitze Schuhe, wohin man schaut. Die zahlreich erschienen Frauen werden als „Damen“ begrüßt, über die weniger zahlreich erschienen Männer freut man sich aber auch. Dann die Eröffnungsstatements: Es geht um Netzwerke, um Karriere, um Quoten, um Familie (was selbstverständlich zu bedeuten hat: ein Partner und Kinder). Es geht um gläserne Decken, Aufstiegschancen, und unfaire Prüfungen. Und es geht um Regie-Frauentypisierung nach Geburtsjahrgang, hier der Ordnung halber wiederholt: so gebe es die „Pionierinnen“, die „Durchsetzerinnen“, die „Angekommenen“ und schließlich die „Regisseurinnen von heute und morgen“. Letztere werden von Kuratorin Haberlik mit milder Schelte bedacht: Sie sähen viele Berufs- und Selbstverwirklichungsoptionen als selbstverständlich, für die andere noch gekämpft hätten.
Prinzipiell scheinen sich aber alle mit dem (neo)liberalen Karrierenetzwerkblabla angefreundet zu haben. Prinzipiell scheinen sich alle ganz sicher zu sein, was Frauen wollen, nämlich Erfolg: Mitbestimmen in der hochsubventionierten aber oft prekär flexiblen Kulturindustrie. Auch was Privatleben für Frauen bedeutet, scheint außer Frage zu stehen: einen Partner (oder, das sei doch bitte mittlerweile selbstverständlich, keine Frage: eine Partnerin) zu haben und Kinder großzuziehen. Eine Kritik an kapitalistischen Arbeitsregimes, an fixen Geschlechterzuschreibungen und (hetero)-normativen Familienbildern scheint nicht zur Debatte zu stehen. Eine Kritik am neoliberalen Diversitätskorsett, das scheinbar progressiven Politiken wie etwa „Gender Mainstreaming“ vorangeht, scheint in diesem Rahmen nicht denkbar zu sein. Dabei könnte Theater doch gerade so etwas leisten! Dabei könnte Theater doch gerade das ausprobieren, was aus dem Rahmen fällt, was im normierten Alltag nicht praktikabel erscheint. Karin Beiers schlauer Umgang mit dem zutodegehypten Kölner Schwulenchor „Die Zauberflöten“ in ihrer tt-nominierten Inszenierung von „Das Werk/Im Bus/Ein Sturz“ kann hier beispielhaft sein. Sie verweigert sich einer in der liberalen Alltagspolitik so gerne gemachten Reduktion auf sexuelle Identität und stellt stattdessen den Chor als Massenphänomen auf gespenstische Weise in den Kontext von historischen Arbeitskämpfen, absurden Produktionsimperativen, und wirtschaftlichen Ausbeutungsmechanismen.
Doch zurück zu den „Regie-Frauen“: Pragmatisch betrachtet ist die Ausstellung natürlich ein lobenswertes Projekt. Man will schließlich das Feld nicht den Herbert Fritschs dieser Welt überlassen, die Frauen am liebsten als „Luder“ haben. Doch genauer betrachtet spricht hier natürlich die liberale Selbstgefälligkeit einer kreativen weißen Mittelschicht, die lieber über Strategien zum Erfolg nachdenkt, anstatt den Erfolgsimperativ an sich in Frage zu stellen. Genauer betrachtet spricht hier eine vulgärbiologische Gemütlichkeit, die Menschen am liebsten in Männer und Frauen einteilt, und der es bloß darum geht, Macht umzuverteilen anstatt gegenwärtige Machtmechanismen prinzipiell zu hinterfragen.
Die interne Mini-Konferenz „Gender your role“, die alle Theatertreffen-Talente an die Diskussionstische bringt, schlägt in eine ähnliche Kerbe. Hier darf ein Familienvater stolz erzählen, er fühle sich seit neuestem so „mütterlich“. Und das, obwohl er ja eigentlich ein Mann sei! Hier geht’s um kreative Vielfalt, die angeblich schon dadurch hergestellt werde, wenn ein Mann-Frau Pärchen an einem gemeinsamen Projekt arbeitet. Hier wird befunden, dass Gender ja „so 90er Jahre“ sei und man doch darüber ohnehin schon hinweg sei. Tatsächlich scheint man wirklich einen Weg gefunden zu haben, wie man unaufgeregt, ohne Provokation, ganz politisch korrekt über Gender sprechen kann: Man behauptet, dass man ohnehin dauernd alles mitreflektiere, man berichtet von den eigenen monogamen Lebenspartner_innen, und wie toll man den gleichberechtigten Alltag meistere, und man erzählt schließlich, wie könnte es anders sein, mit leuchtenden Augen von den süßen kleinen Kindern, die einem das Leben so schön machen. Alles ganz easy, alles kein Problem.
Doch hier können wir doch nicht stehenbleiben! Da sind doch noch so viele, die immer gerne vergessen werden, weil sie nicht ganz in das Geschlechts- und Sexualitäts-Raster passen wollen, das uns als moderne Menschen erst denkbar macht. Warum nicht auch sprechen über die Uneindeutigen, die Unsicheren, die Noch-Nicht-Angekommenen? Und warum nicht immer nur von „denen“ sprechen, sondern auch über unsere eigene Uneindeutigkeit, Unsicherheit, und unser eigenes Nicht-Angekommensein? Warum nicht mal über die Familie sprechen, die sich nicht immer gleich automatisch aus Partner und Kindern zusammensetzt? Die Familie, die man unter normalen Umständen seiner Chef_in besser nicht vorstellt? Die Ex-Liebhaber, die Immernoch-Liebhaber und die Fuckbuddies? Die ganz unkomplizierten Freund_innen und die, mit denen man dauernd nur rumstreitet und Szenen macht? Die Menschen, die man einfach liebt, obwohl man gar nicht so genau weiß, woran man ist?
Sollten wir die Uneindeutigkeit, die prekäre Medialität von Theater nicht auch dafür nutzen, um nach Fluchtlinien zu suchen, den Genderregimes zu entkommen, anstatt bloß über ökonomische Optimierungspotentiale innerhalb der jeweiligen, mühsam stabilisierten, Geschlechterrollen nachzudenken? Sollten wir nicht auch Maricel Álvarez‘ Erfahrung Aufmerksamkeit schenken, dass gerade die Beschäftigung mit dem Theater sie gelehrt hätte, wie beliebig und auch unnötig sich feste Rollenzuschreibungen erweisen? Sie erzählte in ihrer Eröffnungsrede des diesjährigen Talentetreffens von ihren Rollen als „artistic partner“ und als „partner in life“, die sich im kreativen Prozess aber ständig auflösen. Sollten wir Theater nicht auch dafür verwenden, Wege zu erforschen, um Begehren außerhalb normierter Familien- und Partnerschaftsstrukturen vorstellbar zu machen? Und sollten wir schließlich die flüchtige Unsicherheit von Theater nicht doch einmal ganz ernst nehmen: Damit Gender nicht länger als Imperativ formulierbar scheint, sondern als nie zufriedenstellend beantwortbare Frage offenbleiben muss.