Wenn Frauen bluten

Inzest auf der Autobahntoilette. Man kann Nachmittage angenehmer verbringen als mit einer Lesung von Tanja Šljivars „We Are the Ones...“. Aber auch besser?

Inzest auf der Autobahntoilette. Man kann Nachmittage angenehmer verbringen als mit einer Lesung von Tanja Šljivars „We Are the Ones…“. Aber auch besser? 

Die Stücke vom Stückemarkt sind ziemlich hoch aufgehängt, was das Politische betrifft. Sie sind sehr wichtig für den Erhalt der Demokratie. So oder so ähnlich hieß es auf der Stückemarkt-Eröffnung am Donnerstag. In „We Are the Ones Our Parents Warned Us About“ der Autorin Tanja Šljivar, von dem man erst mal denkt, dass es vielleicht um Kindermörder geht, dreht es sich aber meistens um Menstruation. Klingt komisch, ist aber so.

Der Inhalt, soweit ich das verstanden habe, lässt sich ungefähr so beschreiben: Treffen sich zwei auf einer Raststättentoilette (eine ältere Frau und ein jüngerer Mann) und daran anschließend: drei spielerische Varianten dieser Konstellation in drei Szenen. Am Anfang stirbt der Sohn. Dann geht es um Inszest zwischen Bruder und Schwester (oder Mutter und Sohn?), dann darum, dass einmal der Vater nicht einsehen will, dass die elf-jährige Tochter jetzt ihre Periode bekommen hat, was sehr breit ausgewälzt wird. Dann noch um Sex zwischen einer älteren Frau und einem jüngeren Mann. Das ist dann laut Text irgendwie traurig, aber auch irgendwie schön.

Menstruationsprobleme auf der Seitenbühne

Das Ganze war natürlich auch in Szene gesetzt: Wenn von Disco die Rede ist, quillt der Nebel. Es wummert die Musik, dass man den Text nicht mehr versteht. Wenn was mit Toilette ist, hört man einen Toilettenspülung-Soundloop. Wenn was Zärtliches ist, hallen die melancholischen Klavierakkorde. Wenn das mit dem innerfamiliären Menstruationsproblem kommt, reiben sich die Sprecher mit Theaterblut ein. Sie machen ihre Sache sehr charmant, wenn sie nur nicht so durch den Text heizen würden.

Das Stück kommt literarisch ziemlich schlau daher, es nimmt archaische Grundthematiken (Mutter, Kind, Blut, Ausscheidungen, Sex.) des menschlichen Daseins auf und setzt das Ganze in einen so verruchten Ort wie eine Autobahntoilette. Das ist vielleicht gekonnt gemacht, das ist vielleicht an manchen Stellen kitschig-schön, aber es ist noch lange nicht interessant. Die Seitenbühne des Festspielhauses verlasse ich mit Kopfschmerzen und irgendwie vergrollt. Wahrscheinlich bekomme ich meine Tage.

We Are the Ones Our Parents Warned Us About
von Tanja Šljivar
Englische Übersetzung aus dem Serbokroatischen von Cory Tamler und Željko Maksimović

Szenische Lesung
Einrichtung: Johannes von Matuschka
Dramaturgie: Nils Haarmann
Musik: Malte Beckenbach
Mit: Malte Beckenbach, Ursina Lardi, Christian Wagner

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Eva Marburg

Freie Dramaturgin, Autorin und Journalistin, Berlin. Studierte Theater- und Literaturwissenschaft in Berlin und New York und arbeitet neben ihrer dramaturgischen Tätigkeit als freischaffende Dozentin für Kulturgeschichte. Gegenwärtig studiert sie zudem Kulturjournalismus (MA) an der Universität der Künste Berlin.

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