Zu den Leiden des jungen Kritikers zählt es ja, neben viel zu wenig Schlaf, im ständigen Jagdmodus verharren zu müssen. Auf der Pirsch nach der besten Überschrift, dem lustigsten Zitat, dem knackigsten Dialogfetzen und dem kontroversesten Inhalt. Oh weh, schaudert es einem, während man in der Aufführung sitzt und an Klickzahlen und Lektoratsansprüche denkt. Was zur Hölle soll ich denn zu diesem Text (und seiner Inszenierung) noch schreiben? Der ist doch super! Lassen wir den doch einfach mal so stehen.
Pustekuchen, natürlich gibt es immer was, woran man sich reiben kann, darum diesmal die Frage:
Möchten wir wirklich aus der Postdramatik raus?
Wolfram Lotz’ Hörspiel, das auch wirklich ein Hörspiel ist, und – random fact – nur durch einen glücklichen Zufall zuallererst auf die Bühne gebracht wurde, bevor es tatsächlich im Radio laufen sollte, wurde in der Regie von Dušan David Pařízek am Akademietheater in Wien uraufgeführt und bemerkenswerter Weise auch bereits mehrmals im deutschsprachigen Raum nachgespielt. Die Lotzsche Bühnenwelt steht unter dem Stern des unmöglichen Theaters (empfehlenswert sind alle von Wolfram Lotz und Hannes Becker verfassten 27 Forderungen an das Theater; auszugsweise und zum besseren Verständnis hier die 23. : „Die Sprache, die auf einer Bühne gesprochen wird, ist nicht natürlich (was soll das sein!), sondern literarisch. Das heißt, sie ist künstlich, aber nicht irgendwie, sondern auf eine besondere Art: Alles, was gesagt wird, ist so auch wirklich gemeint. Gleichzeitig ist etwas anderes gemeint.”).
Die vier durch die Bank weg großartigen Schauspielerinnen, Frida-Lovisa Hamann, Dorothee Hartinger, Stefanie Reinsperger und Catrin Striebeck nehmen diese Forderung beim Wort und wechseln zwischen Österreichisch, Pseudo-Italienisch, irgendeiner Form von Sächsisch und frei erfundenem Papageiensprech hin und her. These 19 der 27 Forderungen an das Theater, die da lautet: „Niemand kann sich hinter einer Rolle verstecken. Niemand kann sagen, sie habe auf der Bühne nicht selbst gehandelt. Niemand kann sagen, er habe auf der Bühne nur eine Anweisung erfüllt”, wird Credo dieses charmanten Ausflugs in ein Dschungelcamp irgendwo zwischen Joseph Conrads „Herz der Finsternis” und Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now”.
Hört sich komisch an? Ist es auch! Der Dschungel als Projektionsfläche für neokoloniale Wirklichkeit, wird zu einem Dschungel aus Unverständnis und Klischee.
Und das ist es, was den Abend von einer albernen Vorurteilsparade unterscheidet, und der (Obacht!) das beiläufige Blackfacing als Mittel und Stereotyp-Manifestation ad absurdum führt. Vielleicht muss man erst durch den Regenwald von Afghanistan und mit dem Boot über den Hindukusch, um bei der eigenen ethnozentristischen Weltsicht zu landen, aber diesmal hintenrum.
Die Postdramatik schillert noch einmal bunt, bevor sie wohlmöglich dem Lob des Realismus weichen muss – solange erfreue man sich an der verlorenen Rolle, an dem ständigen Hinterfragen von Autorschaft und Authentizität, von Subjekt und Objekt, an den Spezialistendiskursen die Wolfram Lotz immer wieder als kleine Exkurse in den Text eingebaut hat, die trotz aller Absurdität unseren Blick auf das Fremde erschreckend genau beleuchten.
Die lächerliche Finsternis
von Wolfram Lotz
Uraufführung
Regie und Bühne: Dušan David Pařízek, Kostüme: Kamila Polívková, Licht: Felix Dreyer, Dramaturgie: Klaus Missbach.
Mit: Frida-Lovisa Hamann, Dorothee Hartinger, Stefanie Reinsperger, Catrin Striebeck.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, „eine Pause, wenn Sie möchten“