Das Theater – so hieß es in der Ausschreibung zum diesjährigen Theatertreffen-Blog – steht auf dem Prüfstand. Nun gut. Das gilt schon seit längerem. Vielleicht ist dieser Prüfstand sogar so alt wie das Theater selbst. Gemeint ist hierbei natürlich eine besondere Aufgabe, die aus den enorm ausgreifenden aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen erwächst. Zu diesen sollen sich die darstellenden Künste nun in besonderer Weise verhalten; zum Einen, weil die Künste insgesamt dazu aufgefordert scheinen, zum Anderen, weil das Theater qua Tradition als ein außerordentlich fruchtbarer Diskursraum angesehen wird und somit seine entscheidenden Stärken in jener fundamentalen Umbruchsituation ausspielen könnte.
Der markige Ruf nach Klarheit, Entschiedenheit und Relevanz, der nicht zuletzt vonseiten der Theaterkritik erhoben wird, ist gleichwohl mit Vorsicht zu genießen. Stellung zu beziehen, kann für das Theater nicht heißen, eindeutige Meinungen kundzutun. Eine starke künstlerische Setzung ist eben keine argumentative These, sondern bezieht ihre Kraft aus der Singularität ihres Ereignisses, der Besonderheit ihrer Formation, dem Wagemut ihrer Erkundung. Ein Theater, das ein politisches Programm wiederholt, ist gar keins. Darum darf es sich auch die Theaterkritik nicht zu einfach machen und darauf spekulieren, dass ihr das Theater die Arbeit abnimmt. Ein einfaches (Ab-)Urteilen von Inszenierungen nach dem Schema wert/unwert verhöhnt die Möglichkeiten der Kritik und lässt das eigentlich von ihr zu beackernde Feld unbestellt. Mit anderen Worten: Wenn das Theater tatsächlich auf dem Prüfstand steht, dann gilt das für die Theaterkritik keinen Deut weniger.
Nicht blind werden für den versatilen Gegenstand
Aus dem in den letzten Jahrzehnten extrem erweiterten Spektrum theatraler Ausdrucksformen ist eine Herausforderung für die Kritik erwachsen, sich diesem Facettenreichtum auch mit einer weiter entwickelten Registratur der Analysemittel zu stellen. Es ist daher eine entscheidende Aufgabe aktueller Theaterkritik, ein Sensorium sowie eine Sprache zu entwickeln, die die Angebote zeitgenössischer Theaterproduktionen in all ihrer Vielfalt annehmen, ausleuchten und weiterdenken kann. Das heißt freilich nicht, dass es obsolet wäre, sich in der kritischen Tätigkeit eine Meinung zu bilden und diese auch kundzutun. Es heißt aber, dass sich die Kritik ihrer selbst nicht allzu sicher sein darf, wenn sie ihrem Auftrag gerecht werden will. So wie sich das Theater immer wieder hinterfragen und von Null beginnen muss, muss sich auch die Kritik bewegen, um nicht blind für ihren versatilen Gegenstand zu werden.
Deshalb ist es bitter nötig, der noch immer ausgetragenen Scheindebatte, inwieweit die böse Postdramatik uns das schöne dramatische Theater kaputt gemacht hat, endlich eine avancierte kritische Praxis entgegenzustellen, die mehr zu bieten hat als solch neokonservatives Lamentieren. Lustvoll an dem Versuch zu scheitern, eine solche zeitgenössische Praxis der Theaterkritik zu entfalten, scheint mir für das Blog des Theatertreffens, das sich als Festival die ambitionierte und ambivalente Aufgabe stellt, ein „state of the art“ der deutschsprachigen Theaterlandschaft abzubilden, ein adäquater Selbstauftrag zu sein.