Bunt, dreckig und ohne Moral

Karin Beiers Bühnenadaption von Ettore Scolas bitterböser Commedia all’italiana „Brutti sporchi e cattivi“, die unter dem Titel „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“ Anfang des Jahres am Schauspiel Köln zur Premiere gebracht wurde, wird heute Abend zum ersten Mal im Haus der Berliner Festspiele gezeigt. Der Film, der der Inszenierung zugrunde liegt, spielt in Rom.

Hoch oben über der Stadt, den Petersdom stets im Blick, hausen sie, die Hässlichen, die Schmutzigen, die Gemeinen. Jenseits der öffentlichen Wahrnehmung leben der Patriarch Giacinto (Nino Manfredi) und seine unzähligen Familienangehörigen in einer schmutzigen Bruchbude auf kleinstem Raum, verdienen ihr Geld mit Diebstahl, Prostitution und der schmalen Rente der Großmutter und zerfleischen sich gegenseitig, bisweilen sogar im wahrsten Sinne des Wortes. In ihrer Moral-, Hemmungs- und Sittenlosigkeit sind die bunten und dreckigen Gestalten, die Ettore Scolas Film „Brutti sporchi e cattivi“ (1976) besiedeln, der Bild gewordene Alptraum einer westlich-zivilisierten Gesellschaft – und zeitgleich deren logische Konsequenz: Wie der Müll der Großstadt, den die oft bis ins Absurde überzeichneten Figuren durchwühlen, sind auch sie selbst personifiziertes Abfallprodukt eines bürgerlich-kapitalistischen Verdrängungsprozesses, sind sie die wandelnde Schattenseite einer bis zur Negation der menschlichen Natur durchzivilisierten Gesellschaft.

Scolas Blick auf diese allzu menschlichen Kreaturen verweigert sich dabei jeglicher Zurückhaltung – die Kamera filmt den Figuren immer und immer wieder auf den Grund ihrer trotzdem stets undurchdringlich bleibenden Seelen. Keine Verachtung, kein Ekel, sondern eine von Arroganz und Herablassung freie, respektvolle Haltung gegenüber diesen ekelhaften und respektlosen Kreaturen beherrscht den Film. Immer wieder entstehen zwischen all den Bildern des Mülls, der Niedertracht und der Sittenlosigkeit Momente ergreifender Schönheit – und im Gesicht des großen Commedia all‘italiana-Darstellers Nino Manfredi zeichnen sich ganze, mit seinem sichtbaren Umfeld unvereinbare Romane über Sehnsucht, Zweifel und Stolz ab. Dabei weiß Scola selbst in Augenblicken bestürzender Widerwärtigkeit seinen Film mit einem bitteren, nie folgenlosen Witz zu erzählen: Wenn seine verlorenen Figuren beginnen, sich immer erbitterter gegenseitig zu bekämpfen, dann ist das ebenso komisch wie erschreckend. Und bei allem Trost, den das für ein sich seiner moralisch-sittlichen Integrität dadurch wieder vergewisserndes Bürgertum scheinbar bedeutet, steht am Ende die bedrohliche Ahnung, dass es vielleicht nur des kurzen Augenblicks einer politischen Bewusstwerdung seitens einer unterpriviligierten Gesellschaftsschicht bedürfte, um das ein oder andere vermeintlich feste Herrschaftsverhältnis radikal in Frage zu stellen.

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Kai Kroesche

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