Das Leben muss weiter gehen

Ein Vergnügen war das nicht. Die Eröffnungsinszenierung „Kasimir und Karoline“ vom Schauspiel Köln, dem NT Gent und De Veenfabriek in der Regie von Johan Simons ist eine triste, teils unnahbare Angelegenheit. Aber das Durchhalten lohnt: Im nüchternen Blick Simons‘ liegt Hoffnung.

Angelika Richters Karoline kennt den Weg nach oben. Foto: Klaus Lefebvre


Verhaltener Applaus nach Johan Simons‘ „Kasimir und Karoline“ – und das bei der Eröffnungsinszenierung des Theatertreffens. Die Stimmen danach: teilweise gelangweilt, ermüdet, manche indifferent, gesprochen mit leeren Gesichtern und Schulterzucken.

Nein, ein Abend zum Zurücklehnen und Berieseln lassen war es sicher nicht, obwohl man das hätte erwarten können: Erstens, weil die Geschichte von Ödön von Horváth auf dem Rummel spielt und es um Liebe in Zeiten der Krise geht. Es hätte was fürs Herz werden können. Zweitens, weil auf der Bühne in riesigen Blink-Blink-Lettern „ENJOY“ zu lesen steht, als wären es die Hollywood-Hills. Und drittens, weil gleich zu Beginn eine Band mit skurrilen Perücken und schwarzen Fetisch-Glitzeranzügen einen sanften Elektro-Pop-Klangteppich von der Bühne herab ausbreitet (Musik: Paul Koek).

Simons macht es einem nicht leicht

Aber so leicht macht es einem Johan Simons nicht. Er lässt das Drama aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre hinter dem Rummelplatz spielen, statt mitten drin. Dort, wo man den Unterbau der Achterbahn sieht, statt deren Loopings. Wo Männer an Gerüststangen pinkeln und man von fern den dumpfen Beat der Musik hört. Dort, wo besoffene, nach Bier stinkende Männer Frauen angrapschen. Wo ein „abgebauter“ Kasimir und seine Freundin Karoline an ihrer zerbeulten Beziehung herum hämmern.

Angelika Richters Karoline ist längst kein naives, liebes Mädel mehr, sondern stöckelt um die Glitzerbuchstaben herum, als lege dazwischen irgendwo der Weg nach oben. Unten verkriecht sich Markus John währenddessen als brummiger, grobschlächtiger Kasimir mit strähnigem Haar in einem Opel-Kombi. Das Auto muss dann im Laufe der nächsten zwei Stunden als Matratze für einen herben Quickie zwischen dem notgeilen, betrunkenen Speer mit Geld und der jungen, blonden Elli ohne Geld herhalten.

Wo ist der Zugang zu dieser Welt?

Trist ist das alles zunächst, anstrengend, die Dialoge rattern oder stottern ins Leere, man bleibt ausgesperrt aus dieser Welt. An Johan Simons‘ Figuren im Neonlicht lässt sich schwer das Herz wärmen. Jeder Sentimentalität um ein Zuckerwatte-Paar, das tragisch an der Liebe scheitert, beugt er damit zwar vor. Aber sein nüchterner Blick hält einem Kasimir und Karoline, den Merkl Franz und seine Erna streckenweise auf kühler Distanz.

Gäbe es da nicht immer wieder Momente, in denen die Beziehungen zwischen diesen traurigen, gewöhnlichen Figuren einen dann doch berührten. Als sich Jan-Peter Kampwirth als Schürzinger von seinem Chef gedemütigt sieht und mit seiner Trophäe Karoline fort will, rührt einen trotz allem Egoismus seine emotionale Not an. Karoline, die sich erst obzön an eine Gerüststange klammert und dann mit dem lüsternen Opa Rauch, gespielt von Michael Wittenborn, ins Auto steigt, kommt einem nah. Am Ende presst Kasimir sie mit seinen Pranken unvermutet gegen den Opel und drückt ihr die Kehle zu. Eine lange Minute starren sie sich bewegungslos in die Augen und es entwickelt sich ein Kampf, der unbedingt, stark und klar wird.

Ihre Liebe ist gescheitert, sie lassen voneinander. Dass Horváths Schluss hier nicht nur ein Aufgeben ist, sondern die Hoffnung auf einen Neuanfang mitschwingt, ist der Verdienst von Simons’ nüchternem Blick. Die große Liebe ist vorbei, man sagt Adieu und macht mit dem Leben weiter. Ohne Sentimentalität, trotz aller Wunden. Wer weiß, ob die Zukunft nicht vielleicht trotzdem ein kleines Glück bereit hält? Vielleicht gibt es ein gutes Leben, obwohl man die große Liebe, den Job, den Traum nicht retten konnte? In diesem Blick auf die Realität liegt auch ein unverhoffter Trost.

–––

Barbara Behrendt

Alle Artikel