„This must be so boring for you!“

„Life and Times – Episode 1“, eine Produktion der New Yorker Company „Nature Theatre of Oklahoma“ für das Burgtheater Wien, spaltete das Publikum am zweiten Abend des Theatertreffens. Aber wieso? War es die beschwingte Musicalattitüde oder die uneingängige Konsequenz der Konzeptkunst?

Nach der Pause ist die Hälfte des ausverkauften Festsaals der Sophiensaele leer. Nach der Premiere gibt es frenetischen Applaus, fünf Mal dürfen die SchauspielerInnen von „Nature Theatre of Oklahoma“ wieder auf die Bühne kommen.

Eine Sache an diesem Abend ist klar: „Life and Times – Episode 1“ spaltet. Die Zutaten für diese Spaltung: Auf der einen Seite gibt es minimalistischen Tanz, clowneskes Spiel und mitreißende Musik, auf der anderen einen manchmal bis zur Absurdität minimalistischen Text. Allerdings (und da fängt die Spaltung an) besteht der Text zu ca. 60 Prozent aus „um“s „like“s und „but“s. Denn er basiert auf dem ersten Teil eines 16 stündigen Telefongesprächs mit Kristin Worral, einer Freundin der Regisseure hinter dem „Nature Theatre of Oklahoma“, Pavel Liska und Kelly Copper.

Ein Leben – nicht in der Kurzfassung

Kristin erzählt nicht mehr und nicht weniger als ihr Leben – in Episode 1 ungefähr bis zur „Third grade“. Sie ist eine gute Erzählerin: detailreich, konkret, manchmal fast poetisch. Natürlich schweift sie ab, aber sie kommt immer wieder zurück auf Erzählstränge, die sie einmal begonnen hat. Bewusst oder unbewusst macht sie Motive auf, die sich durch ihr Leben ziehen. Manchmal steigt sie auch aus ihrer Erzählung aus und entschuldigt sich bei ihren Zuhörern: „This must be so boring for you!“

Liska und Copper benutzen den transkribierten Text als Duchamp’sches Objet trouvé: Eins zu eins wird er von drei Schauspielerinnen, drei Schauspielern, zwei Musikern und Kristin Worral persönlich (an der Querflöte) interpretiert. Die Musik (Robert M. Johanson) und der Tanz (Elisabeth Conner) unterstützen die vorhandenen Motive und Schlenker und malen die Situationen aus, die Kristin so präzise beschreibt.

Wo hast du im Schulbus gesessen?

Copper und Liska erklären in verschiedenen Interviews, dass sie das Publikum absichtlich zum Abschweifen bringen wollen. Es soll nicht über eine tragische Geschichte zum distanzierten Mitleiden angeregt, sondern über eine realistische Erzählung so sehr gelangweilt werden, dass es auf sich selbst zurückgeworfen wird.

Diese Vorgabe lösen sie auch ein: Die Momente der Identifikation funktionieren. Geschichten über die coolen Kinder, die im Bus hinten und die „nerdy kids“, die ganz vorne sitzen, während man selbst sich vielleicht irgendwo in der Mitte verortet, erkennen viele wieder – wie man dem kollektiven Kichern entnehmen kann.
Warum also die extreme Spaltung? Warum Lachanfall auf der einen Seite und genervter Blick auf der anderen? Die Antwort ist die extreme Konsequenz der Performance, ästhetisch, dramaturgisch und konzeptuell.

Should I stay or should I go?

„Life and Times“ ist Konzeptkunst: Eine Idee wird über drei Stunden durchgezogen, allerdings nicht mit den gewohnten Mitteln intellektualisierter Performance Art, sondern mit denen des Musicals: Pathos, Sympathie und Identifikation. Der Abend changiert zwischen Professionalität und Dilettantismus, zwischen High Art und Reality TV. So kommen „Nature Theatre of Oklahoma“ zu einer echten Synthese von E und U auf der Bühne.

Alles passt zusammen in dieser Performance, und gleichzeitig lässt sie ihren Zuschauern die Wahl: Zu verstehen und zu gehen oder sich in den Strudel der eigenen Assoziationen fallen zu lassen.

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Alexandra Müller

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