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Keine „Landstraße“, kein „Baum“ und es herrscht eher finstere Nacht als jener „Abend“, den Beckett in seiner legendär-knappen Regieanweisung für „Warten auf Godot“ vorsieht. Ein Trichter dominiert stattdessen die zur Schräge angehobene Bühne, ausgelegt mit einem rosafarbenen Tuch. Bedrohlich durchmisst zu Beginn in eisiger Stille ein Suchscheinwerfer die karge Szenerie. Noch aber ist niemand hier und das große Nichts ganz allein mit sich selbst. Eine kleine Ewigkeit vergeht, bis sich etwas regt unter dem Tuch und menschliche Umrisse erkennbar werden. Nach einer Weile haben sie sich dann mühevoll aus dem Tuch herausgeschält und kriechen aus dem Trichterabgrund wie aus einer Rosette, die sie gebiert: Wladimir und Estragon sind wieder da, um einmal mehr zu warten. Auf Godot, der auch diesmal nicht auftauchen wird. Auf Erlösung, die weiter entfernt kaum sein könnte. Schlussendlich, natürlich, auf den Tod, doch es fehlt ja selbst der verdammte Baum, an dessen Ast man den Strick knöpfen könnte. Also warten sie weiter.
Eine unendlich leere Minute
Die Hauptfiguren aus „Warten auf Godot“ waren immer so etwas wie Brüder im Leiden für die Protagonisten im Theater Dimiter Gotscheffs. Wie Wladimir und Estragon waren das Zerriebene zwischen den Zeitläuften, verloren im gähnenden Nichts. Gelegentlich wurden sie angefallen von Hoffnungsschimmern oder romantischen Verklärungen der Vergangenheit, derer sie sich fast schämten. Oft waren diese Figuren wie Clowns, die mühsam die Scherben ihrer längst in tausend Teile zersprungenen Witze aufsammeln mussten. Auch in der Liebe zu diesen bitterkomischen Gauklern stand Gotscheff dem Karl-Valentin-Verehrer Beckett nahe. Es wundert also nicht, dass der bulgarische Regisseur sich fast zehn Jahre lang mit Ideen für eine eigene „Godot“-Inszenierung getragen hatte. Doch die Zeit reichte nicht mehr aus: Als Gotscheff im Oktober 2013 in Berlin verstarb, hatte er gemeinsam mit Mark Lammert lediglich noch den Bühnenraum entwerfen können. Und tatsächlich ist diese unendlich leere Minute vom Anfang, in der die Bühne vom scharfen Lichtkegel des Scheinwerfers durchschweift wird, von den restlichen fast zweieinhalb Stunden dieses Abends nurmehr schwerlich einzuholen. Ihre Verheißung, dass es doch gleich wieder losgehen könnte, dieses Gotscheff-Theater, wenn der Sucher nur fündig würde, ist ebenso bewegend, wie ihre Enttäuschung schmerzt. Denn Gotscheff ist nicht mehr und so beginnt eben alles mit dieser großartigen, aber auch sehr klaffenden Lücke.
Mühsamer Spagat
Es sind immerhin einige der engsten Vertrauten aus der Theaterfamilie des Regisseurs, die sie im Fortgang zu füllen suchen. Das Ensemble um den Regisseur Ivan Panteleev und Gotscheffs „Theatersöhne“ Samuel Finzi und Wolfram Koch wollte diesen Abend, der für die Ruhrfestspiele und das Deutsche Theater Berlin entstand, bewusst als Hommage verstanden wissen. Die Anstrengungen des Spagats allerdings, gedenkende Referenz sein zu wollen und doch auch Eigenes sein zu müssen, merkt man der Inszenierung an. So stemmen sich Finzi (Wladimir) und Koch (Estragon) zwar unter voller Aufbietung ihrer grandiosen Bühnentierhaftigkeit gegen das um sich greifende Nichts: Sie liefern sich spektakulär ein pantomimisches Duell quer durch verschiedene Sportarten und stehen vor allem in der zehrendsten Stille, von der es reichlich gibt, wirklich ganz Gotscheff-typisch wie windschief gewachsene Bäume im Raum herum. Doch Panteleevs Regie scheut es, sich den Abend zueigen zu machen oder gar die Vorlage, die bei aller Unsterblichkeit etwas Moos angesetzt hat, zu aktualisieren. So überlässt er größtenteils ganz seinen Schauspielern das Feld, was im Falle des perfekt eingespielten Duos Finzi / Koch zuweilen die Grenze zu (hochvirtuosen) Mätzchen überschreitet, während Christian Grashofs Pozzo und Andreas Döhlers Lucky eine etwas boulevardeske Klotzigkeit übergestülpt bekommen. Da wirkt „Warten auf Godot“ dann schonmal wie der Gassenhauer des Existenzialismus schlechthin, allzeit spiel- und munter beklatschbar.
Der Gaukler fehlt
Das seltsamste Problem dieser Inszenierung ist allerdings, dass sie ausgerechnet dort, wo sie durch eigene Zurückhaltung den Gotscheff-Geist wehen lassen will, oft viel grimmiger und auch trockener wirkt, als dieser in vielen seiner Inszenierungen doch eigentlich war. Neben ungezählten Schmerzensmännern und -frauen, die auf gekrümmten Buckeln die Last der Geschichte über die Bühne zu schleppen schienen, schenkte Gotscheff uns eben auch Momente gelösten Theaterzaubers und randalierender Ausgelassenheit. Wer dabei war, wird nicht vergessen, wie er in seinem Hamburger „Tartuffe“ (2007) die Bühne minutenlang mit Luftschlangen und Konfetti befeuern ließ, bis die Darsteller fast knöcheltief darin waten mussten. Ebensowenig, wie seine Berliner Inszenierung von Dejan Dukowskis „Das Pulverfass“ (2008) den rotzigen Sound eines infernalisch lauten Balkanorchesters zum heimlichen Hauptdarsteller machte. In Panteleevs Hommage bleibt von dieser gauklerischen Seite Gotscheffs nur partikelweise etwas übrig. So dehnt sich die Lücke vom suchenden Beginn des Abends noch lange nach dem Stückende aus zur Leere eines Fehlens, für das niemand eintreten kann. Womit dieser „Godot“ dann vielleicht doch die aufrichtigste Hommage überhaupt ist.