Eigentum ist Diebstahl

Stückemarkt Numero eins, das war „Hose Fahrrad Frau“ von Stefan Wipplinger. Die szenische Lesung auf der Seitenbühne im Haus der Berliner Festspiele wurde eingerichtet von Jan-Christoph Gockel, Musik [richtig wichtig in Sachen Komik und Verortung: zum Beispiel unverwechselbarer Berliner U-Bahn Sound] von Anton Bermann, auf der Bühne neun Schauspielende und noch vier Mädchen auf Rollschuhen. Und Rollschuh ist ein gutes Stichwort, weil: Obwohl im Titel doch von einem Fahrrad die Rede ist [ja, so eines gab es auch], waren da überall Rollen, also auch an den Bänken, Tischen und Kästen, mit denen die verschiedenen Räumlichkeiten etabliert wurden.

In der U-Bahn, in der zu kleinen oder doch ganz gut großen Wohnung, am Familientisch und an der Bahnhofsmission zirkulieren die Dialoge der Figuren keinem Ende entgegen. Drei Handlungsstränge kreuzen sich ein wenig, treten über die zirkulierenden Dinge miteinander in Verbindung. Da geht es um Besitz, da gibt es eine Ökonomie, also einen gewissen Kreislauf, der – so unreguliert, so einfach – immer weiter läuft. Die Hose kommt von irgendwo und landet später bei der Bahnhofsmission, aber dazwischen, da gehört die uns. Natürlich, wir besitzen Dinge, manchmal zu viele – könnten wir ohne? Natürlich, wir besitzen Hosen, wir besitzen Fahrräder, wir besitzen Frauen, da wird die Sache ausgesprochen schwierig. Zirkulieren denn die Menschen so wie Dinge, haben wir einander ganz genau so, wie wir Hosen haben, nein, vielleicht gehört uns nämlich gar nichts und wir zirkulieren auch so dahin.

Einen gibt es, der sich für das Nichts entschieden hat. Die Figur des Penners ist ein bisschen weise und ein bisschen nervig. Dass Eigentum Diebstahl ist, das stellt der schon in der ersten Szene klar. Weil da spricht er Tom auf sein Fahrrad an und erkennt in eben diesem ein von ihm gestohlenes wieder. Später entlockt er Janne Einsichten über ihr prekäres Arbeitsverhältnis. Als Kellnerin würde sie Speisen und Getränke jeweils vom Arbeitgebenden kaufen, um diese dann an hoffentlich zahlende Kundschaft weiterzugeben, im Falle des Falles müsste sie selber für anfallende Kosten aufkommen.

Die derzeitige Textfassung, die Stefan Wipplinger im an die Vorstellung anschließenden Gespräch mit Lutz Hübner als eine sicher nicht endgültige bezeichnet hat [ja, eigentlich hat er davon gesprochen, dass der Text eine Art Maximalmöglichkeit darstellt, die sehr wohl ihrer Verdichtung harren könnte], umfasst 70 Seiten, die Lesung dauerte etwa eine Stunde und 20 Minuten. Da wurden also mehrere Monologe und manche Verweise raus gestrichen. Die Handlungsstränge, die sind klar: Michaela hat einen so genannten Kinderwunsch [Mädchen auf Rollschuhen!], weil das aber auf so genanntem natürlichen Weg für sie nicht möglich ist, bittet sie die Freundin Janne mit dem eigenen Freund Alf ein Kind zu zeugen. Janne aber, Handlungsstrang zwei, ist verwickelt in ein Wohnungstauschgeschäft und kann dem Konzept Leihmutterschaft nicht ganz so viel abgewinnen. Dafür aber der Idee, ein solches Kind gemeinsam mit Tom, dem aus der anderen Wohnung, aufzuziehen. Dann Handlungsstrang drei: Eine Frau wurde vergewaltigt und deswegen von ihrer Familie an den Täter verkauft. Der Bruder will sie suchen und finden und am besten wieder mit nach Hause nehmen.

Das sind Dialoge, die sich in intimen, im Sinne von zweisam-privaten, Situationen zwischen Menschen entwickeln, denen es hauptsächlich nicht um das Wie der Worte, sondern um das damit pragmatisch Angegangene geht. Die haben alle eine Geschichte, und auch später noch was vor. Dazwischen sind sie der Meinung, sie hätten einen Besitz – und sei es auch nur die Gewissheit über sich selber. Das kann komisch werden, und auch bedrohlich. Und immer so weiter.

 

Hose Fahrrad Frau
von Stefan Wipplinger
Einrichtung: Jan-Christoph Gockel, Musik: Anton Berman, Ausstattung: Julia Kurzweg
Mit: Elias Arens, Christoph Franken, Lisa Hrdina, Kathleen Morgeneyer, Wolfgang Michael, Aleksander Radenković, Almut Zilcher, Ernest Allan Hausmann, Felix Römer, Huda/Aylin/Amelie vom Rollschuh Paradies Berlin e.V.

 

 

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Theresa Luise Gindlstrasser

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