Geld oder Liebe

In einer Konsumgesellschaft, in der das Gehalt über Lebensglück oder -unglück entscheidet und der Gier keine Grenzen gesetzt werden, da lässt es sich schlecht lieben. Das klingt ein bisschen plakativ, gleichzeitig auch ziemlich banal – der britische Dramatiker Dennis Kelly hat trotzdem ein Stück daraus gemacht, und der Regisseur Stephan Kimmig hat es auf die Bühne gebracht.

Schon am Anfang ist alles zu Ende. Dennis Kelly lässt sein Stück mit einem Prolog beginnen und erzählt anschließend rückwärts: David, ein erfolgloser Londoner Lehrer, trägt den Email-Wechsel mit seiner französischen Ex-Affäre vor. Was harmlos mit Anekdoten aus dem Büro-Alltag beginnt, wird immer persönlicher, offener, radikaler und schließlich ist raus, was David getan hat: Er hat seine Frau sterben lassen, die nach einer Überdosis Beruhigungstabletten bewusstlos auf dem Bett lag, als er nach Hause kam, mehr noch – David ging los, kaufte Wodka, flößte ihn der Halbtoten ein, auf dass sie auch wirklich sterbe. Sie, und mit ihr die 70.000 Pfund Schulden, die sie durch ihre Kaufsucht angehäuft hat. 70.000 Pfund Schulden, die verhindern, dass David endlich das kaufen kann, was ihm zu seinem Glück fehlt: ein Ford Mondeo.

Gefangen im Würfel. Foto: A. Declair

Daniel Hoevels als David berichtet beiläufig von der sadistischen Tat, macht sich dabei ein Ei-Sandwich, isst es. Susanne Wolff als Jess geistert derweil im altmodischen Brautkleid durch den Wohnkubus, den Katja Haß und Oliver Helf auf die Bühne gestellt haben und der wie ein überdimensionierter Hamsterkäfig aussieht.

Nachdem das Geständnis raus ist, wird die Geschichte in Rückblicken erzählt. Wieso hat David das getan? Wer nun eine präzise psychologische Analyse menschlicher Abgründe erwartet, wird bei Dennis Kelly enttäuscht. In losen Szenen und mit vielen Zeitsprüngen entwirft der Autor lediglich holzschnittartige Charaktere, die sich alle in einem gleichen: Neid, Geldgier, Konsumsucht, Versagensangst treiben sie zu allerlei Sadistischem.

Da sind die Eltern der toten Jess, die es nicht ertragen können, dass die alte Frau, die neben ihrer Tochter auf dem Friedhof begraben liegt, ein opulenteres Grabmahl hat. Da ist Davids Ex-Freundin, die Karriere gemacht hat und die ihn demütigt, als er sie um einen Job bitten muss. Da ist ein Bekannter, der sein Geld mit Blowjobs verdient und da ist eine frustierte Angestellte, die ihrem Chef Weihnachtskarten mit aufgeklebten Mäuseinnereien schickt. Abgeklärte Opfer der Konsumgesellschaft, die keine positiven Gefühle mehr empfinden können.

Blutleere Existenzen

Man muss Stephan Kimmig zugute halten, dass es ihm gelungen ist, die aneinandergeholperten Einzelszenen, die Kelly geschrieben hat, durch Übergänge und behutsame Änderungen zu einer Geschichte zu verknüpfen. Trotzdem bleibt das, was da auf der Bühne passiert, meist recht blutleer. Der Regisseur lässt die Figuren ihren Text zum größten Teil an der Rampe aufsagen, direkt ans Publikum gerichtet, während die anderen Schauspieler daneben sitzen und zuhören. Einzig Susanne Wolff hebt sich ab von diesem Reigen der leeren Hüllenexistenzen: Ihre Jess läuft mit verwunderter Verzweiflung durch die Welt, stürzt sich in die Kaufsucht, leidet, kämpft. Beinahe deplatziert wirkt Wolff in dieser Inszenierung mit ihrem ausdrucksstarken Spiel. Selbst wenn Daniel Hoevels als David in einer Szene emotional wird, weil er erfährt, dass seine Frau wieder einkaufen war – wenn er mit der Faust die Sperrholzseiten des Wohnwürfels einschlägt, muss Susanne Wolff nur still sitzen und schauen und spielt ihren tobenden Kollegen trotzdem noch an die Wand.

Da waren sie noch glücklich: Daniel Hoevels als David und Susanne Wolff als Jess. Foto: A. Declair

Am Ende steht der Anfang der Geschichte, die Hochzeit des Paares – und der Zuschauer bekommt es vom Text holzhammermäßig präsentiert: Da, schau, wie verliebt die Beiden einmal waren, bevor die Konsumsucht alles kaputt gemacht hat. Bei Dennis Kelly gibt es nur Liebe oder Geld, keine friedliche Koexistenz. Und wieder ist es Susanne Wolff, die hier den Theaterabend davor rettet, vollkommen in einem belanglosen well-made play unterzugehen: Ihr Schlussmonolog, in dem sie hinreißend verschwurbelt und beschwipst über die Entstehung des Universums, Zufall und die Schöpfung doziert, lässt beinahe alle vorherigen Schwächen des Stücks vergessen, und auch wenn es banal und ein bisschen kitschig ist, was sie da sagt – man möchte ihr Recht geben, einfach nur, weil sie so spielt, wie sie spielt.

„Ich rede einfach davon, sich für eine Welt zu entscheiden, in der es mehr gibt als Zahlen und Mengen und Sparen und sich für eine Welt zu entscheiden, die aus Fleisch und Blut ist – und – Liebe oder, mehr als nur – es ist doch mehr als nur Geld, Mathematik, Zahlen, Beträge, ich weiß nicht – Oder nicht? Ist es nicht so? Geld ist doch tot. Oder so was. Oder nicht?“

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Judith Liere

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