Immer im Jetzt

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Irgendwann muss es mal eine Zeit gegeben haben, da wurde auf den Theaterbühnen mit ganz heißer Ware gedealt. So wenigstens scheint es, wenn erfahrene Exemplare der Gattung „Theatergänger“ ins Erzählen kommen. Nirgendwo sonst, außer vielleicht im Spezial-Feuchtbiotop der „Opernfreunde“, ist die Tendenz zum „Früher-war-alles-besser“ ausgeprägter als hier. Und wer immerhin nicht direkt von „besser“ mit Bezug auf die unwiederbringlich versunkene Zeit sprechen möchte, laviert stattdessen eben mit Platzhaltervokabeln herum: Wahrhaftiger, authentischer, wichtiger. Früher, hört man da, sei es noch „um was gegangen“, hatte Theater „gesellschaftliche Bedeutung“ und stand im Brennpunkt öffentlicher Debatten, die es oft genug selbst anstieß. Schnell erhält man so den Eindruck, es hätten sich früher immer alle und überall von Peter Handke publikumsbeschimpfen oder durch Einar Schleef etliche Stunden lang die Jelinek ausexerzieren lassen. Man hat sowas, erfährt man, nicht nur andauernd gesehen, sondern scheinbar auch immer gleich gewusst: Aha, das ist was Großes, das ist bedeutend, das bleibt.

Und heute? Ganz klar: Auf der vielspurigen Autobahn der darstellenden Künste tuckert das alte Sprechtheater ganz rechts, schwerbepackt wie ein rostiger Lada Nova auf dem Weg von Athen nach (n)irgendwo. Die benachbarten Überholspuren beherrschen derweil längst Boliden ganz anderer Art: Perfekt zugeschnittene, über-smarte Mehrtürer aus der bestens geölten TV-Serien- Produktion sind nicht nur schneller, sondern attraktiver, beweglicher und vor allem um Längen komfortabler. Wer heute am Puls der Gegenwart sein will, streamt sich lieber auf der heimischen Couch durch etliche Stunden von „Transparent“ oder „House of Cards“, als dass er oder sie am Abend ins städtische Theater zöge. Die großen Angelegenheiten unserer Zeit, sie werden hier multiperspektivischer, niederschwelliger und häufig cleverer verhandelt als auf der Bühne. Die Stadttheater reagieren mit einiger Panik auf ihren schwindenden Stellenwert und starten kümmerlich spät die Netzoffensive: Wer jetzt kein Haus auf Facebook hat, der hat bald auch so keines mehr.

Natürlich sind diese beiden Extremdarstellungen vor allem eines: Unsinn. Weder war das klassische Stadttheater „früher“ eine Art gesamtgesellschaftliche Diskursarena (sondern auf vielen Ebenen sehr viel elitärer und verstaubter als jetzt), noch steht es „heute“ kurz vor seinem Verschwinden. Trotzdem erzählt die Perspektive des dauergelangweilten, vergangenheitsfixierten Theater-Snobs, wie er dieser Tage auch wieder den Kiez rund um die Schaperstraße unsicher machen wird, etwas vom hohen Anspruch, an dem eine Bühne vor allem im deutschsprachigen Raum gemessen wird. Relevanz ist das Stichwort. Verliert das Theater die Gesellschaft aus den Augen, in der es stattfindet, macht es sich überflüssig. Das bedeutet nicht, dass es auf jeden Zug aufspringen, jede Trend-Ausfahrt mitnehmen muss. Kunst folgt schließlich auch immer einer Eigengesetzlichkeit, die sie bestenfalls zeitlos werden lässt. Aber für die Ewigkeit ist die ephemere Natur des Theaters, in der Inszenierungen sehr selten die dreißigste Vorstellung erleben, eigentlich gar nicht geschaffen – zwingt aber gerade deshalb zum doppelt genauen Hinschauen, zur selbständigen Reflexion und zum Austausch. Idealerweise verwandelt eine Aufführung diejenigen, die dabei waren, weil sie in deren konkretem Hier und Jetzt etwas bedeutet hat. In der Vergangenheitsschwärmerei wird dann ein Eindruck wachgehalten, der unmittelbar nicht mehr nachzuerleben ist.

Auch das Theatertreffen im Jahr 2015 bezieht Stellung zu einigen der dringlichsten Themen unserer Gesellschaft, zu Verhältnissen, über die es nicht schweigen darf. Vielleicht wird sich in zwanzig Jahren jemand an die „bleibenden Momente“ des diesjährigen Festivals erinnern und dabei in fragende Gesichter blicken, weil die Zeiten längst ganz andere geworden sind. Eventuell wird dann gar nicht mehr sofort klar sein, warum dieses Theatertreffen mit einem Abend über Flüchtlingsschicksale eröffnet wurde, ja, eröffnet werden musste. Das wäre schön und auf bescheidenster Ebene wohlmöglich auch der Verdienst eines echten „Theaters für Zeitgenossen“, das seine Gegenwart ernst nimmt.

 

Bildquelle: http://fortecommercialcleaning.com/img/site_specific/uploads/crop_Stadiumtheatre_page_cropped.jpg
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Janis El-Bira

Janis El-Bira, Jahrgang 1986, studierte Philosophie und Geschichtswissenschaften in Berlin und arbeitet seitdem als freier Journalist mit Theaterschwerpunkt. Er ist Redakteur beim Theaterportal nachtkritik.de und moderiert seit 2016 die Sendung „Rang 1 – Das Theatermagazin“ im Deutschlandfunk Kultur. Texte und Beiträge zudem u.a. für die Berliner Zeitung, SPEX, Tagesspiegel, Deutschlandfunk Kultur und SWR2. Leitete von 2016 bis 2021 das Theatertreffen-Blog der Berliner Festspiele.

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