Kein „Sozialkritiktheater“

In ihrer Bühnenadaption des italienischen 1970er Jahre-Films „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“ hält Karin Beier das Publikum auf Distanz: Die Bühne (Thomas Dreissigacker) ist durch eine schalldichte Glaswand vom Zuschauerraum getrennt. Auf der Spieler-Seite wird gedarbt, gewütet und gequält. Warum die Inszenierung die Armut einschließt, was Karin Beiers „Schmutzige“ mit Ettore Scolas Film zu tun haben und wie das Schauspiel Köln sich über solche Inszenierungen ein Ideal-Publikum heranerziehen möchte, erklärt der Dramaturg Götz Leineweber.

Die erste Frage ist natürlich: Warum „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“?
Die Idee ist irgendwann in den 1990ern, ich glaube in Hamburg, geboren worden, in der Baumbauer-Zeit. In Köln kam das über Karin Beier, die von Anfang an damit geliebäugelt hatte, den Film auf die Bühne zu bringen, die dann aber erstmal in anderen Produktionen gebunden war. Nun wollte sie in der Halle Kalk, dem kleineren Spielort in Köln, eine Arbeit machen und hat sich entschieden, das Stück jetzt, in der dritten Spielzeit, letztendlich doch zu realisieren.

Ich selbst bin über Gotscheff mit dem Stoff in Kontakt gekommen, der „Die Schmutzigen“ 2005 in Berlin machen wollte. Die Entscheidung fiel dann aber doch auf „Das große Fressen“. Ich kam also zweimal in Berührung mit dem Text. Wer nun aber wirklich der Urheber der Idee ist, diesen Film auf die Theaterbühne zu bringen, das weiß ich nicht. Da muss man aber auch nicht so pingelig sein …

Was macht den Stoff interessant für die Bühne?
Was ich persönlich an dem Film schätze, ist die Art und Weise, wie die Truppe sich des Ganzen angenommen hat. Sie … nun … improvisieren nicht unbedingt, aber sie sind so sehr bei der Sache, während sie spielen. Gleichzeitig ist die Kamera immer ganz nah dran, das trägt noch zu diesem Effekt bei. Dazu kommen dann diese unglaublich skurrilen selbst gebauten Kulissen und im Kontrast dazu das Panorama von Rom im Hintergrund. Die Geschichte an sich ist dabei eher schlicht, es ist sozusagen das Ambiente des Films, das ihn besonders macht.

Wie würden Sie „Die Schmutzigen“ denn beschreiben?
Es ist an sich erstmal eine Art Parodie, zum Beispiel darin, wie Westernelemente aufgegriffen werden und damit der italienische Neo-Realismus durch den Kakao gezogen wird, diese romantisierende „Armut-und-Würde“-Idee. In ihr entdeckt „Die Schmutzigen“ eine komplett bitterböse Seite: Die Kinder werden immer geschlagen und in einen „Kinderkäfig“ weggesperrt und so weiter. Die Parodie geht in alle Richtungen.

Ich fand den Film beim allerersten Sehen lustig, muss ich sagen. Das Lustige verändert sich aber im Laufe des Films, wird letztlich sogar existenziell. Das liegt sicherlich auch an dem Hauptdarsteller.

Da hat sich eine ganz hervorragende Truppe zusammengefunden. Die wussten, was sie wollten, die wussten, was sie konnten und haben sich einen Stoff ausgesucht, mit dem sie richtig loslegen konnten. Die haben sich komplett ausgespielt. Das merkt man der Arbeit einfach an.

Stimmt denn die Textfassung des Stücks mit der filmischen überein?
Wir hatten natürlich das Buch. Anhand dessen haben wir uns lange vorbereitet, haben eine Konzeption erarbeitet. Der Text war erstmal als Spielmaterial gedacht, wenn man unbedingt mal eine Szene braucht. Den Handlungsstrang oder die Fabula haben wir schon beibehalten.

Aber all das haben wir ad acta gelegt, als wir mit den Schauspielern zu proben begannen. Da gab es vor allem diese etwas andere Bühnensituation, mit der wir umgehen mussten. Letztlich wurde dann Text aus den Improvisationen festgelegt. Es stellte sich doch als sehr wichtig heraus, dass das, was hinter der Glasscheibe gesprochen wird, festgelegt ist.

Wie kam es zu der Idee mit der Glaswand?
Das war eine Idee, die Karin Beier und Thomas Dreissigacker in den Sommerferien geboren haben, kurz vor der Bauprobe. Während der Bauprobe gab es dann drei Varianten von dem Bühnenbild. Die haben das schon mal gemacht in Hamburg bei einer Produktion. Da gab es auch eine Art Verhang zum Publikum hin, ich weiß aber nicht, ob das auch schon eine Scheibe war.

Was bedeutet die Glaswand für die Produktion?
Es geht uns eben nicht um eine Sozialstudie, sondern darum, dem Publikum bewusst zu machen, was sie da sehen. Distanz herzustellen. Wenn wir eines nicht wollten, dann „Sozialkritiktheater“. Die Scheibe spielt schon eine besondere Rolle an diesem Abend. Sie ist nicht einfach nur eine Scheibe zwischen Bühne und Publikum, das hat man ja vielleicht auch schon mal gesehen. Das Besondere ist, dass sie schalldicht ist.

In Köln gehen Sie auf ganz bestimmte Weise mit dem Publikum um. Sie haben in einem anderen Gespräch gesagt, dass man den Blick der Zuschauer nicht zu sehr lenken dürfe. Was heißt das?
Wir sind da in Köln ziemlich strikt: Wir machen keine Einführungen, sondern bieten hinterher Publikumsgespräche an. Das machen wir vor allem, damit wir nicht in die Verlegenheit kommen, Kunst zu erklären. Die Zuschauer sollen autonomer werden in ihrer Kunstbetrachtung. Das ist vor allem im deutschen Theater etwas verloren gegangen. Die Zuschauer suchen oft bei sich selbst den Defekt, wenn sie etwas nicht verstehen. Das finde ich eine Unart, eine Bildungsunart in Deutschland, dass so etwas passiert.

Was bedeutet das für „Die Schmutzigen“?
Unsere Arbeit ist nicht so gemacht, dass man den Film kennen muss, um sie zu verstehen. Die guten Sachen sind auf den Proben erfunden worden, das sind keine Ideen aus dem Film. Im Gegensatz zu anderen Filmadaptionen, wo man ein Meisterwerk hat und ständig versucht, sich danach zu strecken. Würde man zum Beispiel den Film vor der Vorstellung zeigen und sich im Anschluss das Stück anschauen, dann würde man doch vor allem nach Wiedererkennungsmomenten suchen. Sowas finde ich immer schade. Genauso wie bei Einführungen: Man verliert einfach etwas von der Aufmerksamkeit der Zuschauer.

In unserem Stück zum Beispiel wird an einer bestimmten Stelle ein Stück Tschechow gesprochen, von einer bestimmen Figur, die im Film auch besonders gekennzeichnet ist. Das ist etwas, das man herausfinden muss. Es wundert mich, dass solche Herausforderungen kaum noch passieren, auch bei Kritikern kaum noch passieren. Mir fehlt dieses Sich-Hineinversetzen-Müssen.

Ich glaube, das liegt schon daran, dass Informationen teilweise fertig vorformatiert werden. Dabei wird dadurch die Kunst ungemein verharmlost, indem man vorher sagt: Oh, ja, der nuschelt da, weil man sowas heute nicht mehr deutlich sagen darf. Man erklärt die Kunst. Bei uns gibt es wirklich nur Einführungen bei Gruppen, die sich mit einem bestimmten Thema auseinander setzen.

Was weiß ich, 1950er Jahre-Architektur. Wir reden vorher über 1950er Jahre-Architektur, und dann geht die Gruppe ins Stück. Selten wird da die Inszenierungsarbeit erklärt. Publikumsgespräche gibt es dafür regelmäßig, da erfährt man wirklich etwas oder kriegt auch mal eine Abfuhr, das bringt allen Beteiligten wesentlich mehr.

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Alexandra Müller

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