Rezept für einen Theaterskandal

Ach, was ist so ein richtiger Stadttheaterskandal doch herrlich! Leider passiert das nicht mehr so oft, da man inzwischen ja so gut wie alles gesehen, verhandelt und inszeniert hat. Doch in Hamburg haben sich im letzten Jahr etliche ins Zeug gelegt, damit mal wieder richtig Leben in die Bude Theater kommt. Wie Sie selber einen Theaterskandal à la Volker Löschs „Marat, was ist aus unserer Revolution geworden“ produzieren können, erklären wir gerne. Das Rezept für einen Theater-Hermann, den Kuchen, der immer weiter wächst und sich überall verteilt.

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Marion Breckwoldt als Marquis de Sade in Volker Löschs "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?" als Ekelpaket. Foto: A.T. Schäfer

Theater-Hermann

Man nehme für das Grundrezept:
– 1 schönen, alten Theaterklassiker, zum Beispiel die „Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“ von Peter Weiss
– 1 Regisseur, der sich traut, der bekannt ist für „mutige“, „zupackende“ und bestenfalls „politische“ oder „gesellschaftskritische“ Inszenierungen (empfohlen: Volker Lösch)
– 1 Prise Ursprungs-Hermann („Die Dresdner Weber„)

Man füge hinzu:
– 6 Schauspieler
– 24 Hartz-IV Empfänger, die die Namen von 28 reichen Bürgern ihrer Heimatstadt verlesen (Liste aus dem Manager Magazin)
– 28 reiche Bürger (in diesem Fall Hamburgs), deren Namen verlesen werden, davon:
– 4 reiche Bürger, die sich mit einer einstweiligen Verfügung gegen die Verlesung ihrer Namen wehren
– 1 Kultursenatorin (zum Beispiel Karin von Welck), die um ihre Sponsoren fürchtet und eine Pressemitteilung veröffentlich
– 1 Intendant (etwa: Friedrich Schirmer, Hamburger Schauspielhaus), der seine Schauspieler und die Inszenierung schützt und verteidigt
– 1 große Hand voll Journaille

Als Hefe wird empfohlen:
– 1 Elbphilharmonie oder ein anderes Kultur-Großprojekt

Zubereitung des Hamburger Skandals:
Nach und nach alle Zutaten miteinander verrühren. Erst zum Schluss die Kultursenatorin und die reichen Bürger hinzufügen. Jetzt sollte der Teig gut aufgegangen sein. Die Premiere wird gelingen, das Stück muss umbenannt werden in „Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?“. Statt der Namen der reichen Bürger werden deren einstweilige Verfügungen verlesen.

Dann mit der Journaille kräftig würzen. Die nimmt die Premiere kontrovers auf, prima! Denn so vermehrt sich der Theater-Hermann wunderbar und wird immer weiter gegeben bis auch der letzte einen hat: Ulrich Fischer lobt im Deutschlandradio Kultur die Inszenierung und findet es „gut, dass in Zeiten der Finanzkrise gerade dieses Stück auf die Bühne kommt: das Deutsche Schauspielhaus hat Fortune und Courage.“ Till Briegleb von der Süddeutschen Zeitung ist eher angeekelt: Trotz „ihrer ganzen primitiven Symbolik“ finde die Inszenierung „zu keinerlei Stoßrichtung“. Klar sei lediglich, „dass für Herrn Lösch die Reichen böse und die Armen gut sind“. Stefan Grund sieht in der Welt den provozierten Skandal: „Dem Zweck, Skandal zu machen“, werde die Aufführung „trotz gegenteiliger schriftlicher Bekundungen des Regieteams jedoch bestens gerecht. Sie darauf zu reduzieren, wäre wiederum ungerechtfertigt.“

Jetzt wird die Kultursenatorin ihr Aroma besonders entfalten können –

in einer gepfefferten Pressemitteilung: „Einzelpersonen an den Pranger zu stellen, ist in meinen Augen eine billige, populistische Form, Kritik auszudrücken. Es ist hoch problematisch und unfair. Ich traue einem Regisseur, der an einem Theater wie dem Deutschen Schauspielhaus inszenieren kann, differenziertere und reifere Möglichkeiten zu, unser Gesellschaftssystem kritisch zu hinterfragen und den Zuschauer zum Nachdenken zu bewegen.“

An dieser Stelle hat die Hefe Elbphilharmonie schon hervorragend gewirkt. Karin von Welck befürchtet, dass die reichen Hamburger Bürger als Sponsoren für die (immer teurer werdende) neue Philharmonie abspringen könnten. Angeblich soll sie sogar versucht haben, die Premiere zu verhindern

Nun den Intendanten Friedrich Schirmer hinzufügen, der sich seinerseits mit einer Pressemitteilung zu Wort meldet: „Potentielle Sponsoren bestimmen, was auf der Bühne stattfindet und was nicht?“ Jetzt müsste die Presse richtig hochgegangen sein und sich auf diesen schriftlichen Wortwechsel gestürzt haben. Perfekt!

Zum Abschluss folgt noch eine interessante Mischung Schirmer/von Welck in einer Tüte Erklärung: „Die unterschiedlichen Auffassungen konnten wir heute in einem persönlichen Gespräch vollständig klären. Wir werden auch in Zukunft ganz selbstverständlich so vertrauensvoll zusammenarbeiten wie bisher.“

Jetzt ist der Skandal Theater-Hermann perfekt, jeder kann sich beim Berliner Theatertreffen ein Stück abschneiden und den Hermann weiter füttern.

Guten Appetit!

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Anna Postels

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