Selbstoptimierung mit Jutebeutel

Die Performer*innen von Talking Straight gastierten nach ihrer Einladung vom Vorjahr nun unter dem Label "Stückemarkt revisited" beim Theatertreffen. Diesmal brachten sie einen Ausflug in die skurrile Welt von Managerseminaren mit.

Im Rahmen des Formats „Stückemarkt revisited“ werden Künstler*innen, die bereits im letzten Jahr beim Stückemarkt vertreten waren, ein weiteres Mal eingeladen, um eine neue Arbeit zu zeigen. Dieses Mal hat die Performancegruppe Talking Straight das Rennen gemacht – und für den diesjährigen Stückemarkt ihre Produktion „Talking Straight Entertainment“ im Studio Я des Gorki Theaters wiederaufgenommen.

Talking Straight sind alte Bekannte des Theatertreffens – im letzten Jahr war die Performancegruppe mit dem „Talking Straight Festival“ zum Stückemarkt eingeladen. Diese Produktion war oft eine große Gaudi – ein mehrstündiges Mini-Festival innerhalb des Theatertreffens in einer skandinavisch angehauchten, größtenteils unverständlichen Kunstsprache, die auch den einfachsten Vorgang – wie beispielsweise eine Akkreditierung am Festivalcounter – zu einem fremd anmutenden Erlebnis machte. Die Qualität des „Talking Straight Festivals“ lag im Aufdecken festival- und theater(menschen)typischer Codes, die gnadenlos durch den Kakao gezogen wurden, und in der Interaktion mit dem Publikum, das immer wieder aufgefordert war, in Fremdsprache mit den Performer*innen und miteinander zu kommunizieren.
„Talking Straight Entertainment“ ist da weniger unterhaltsam. Die Performance findet in einer Art Eso-Büro-Sitzungsraum-Setting statt – ein kleiner Zimmerbrunnen plätschert neben den Eingang dahin, ein Duft wie im Wellnessbereich eines Thermenhotels wabert durch den Raum und die sechs Performer*innen sitzen im Schneidersitz in einer runden, mit einem transparenten Plastikvorhang (komplett mit Talking-Straight-Logo) vom Zuschauerraum abgetrennten Enklave und scheinen zu meditieren. Leise Musik und das Raunen der Performer*innen begleiten diesen Vorgang. Auch das kleinste Geräusch ist laut und deutlich zu hören, da den Zuschauer*innen am Einlass Kopfhörer ausgehändigt wurden, die jeden Ton verstärken. Nachdem eine Performerin die Szenerie verlassen hat (es stellt sich später heraus, dass es sich um die Musikerin handelt, die für den Live-Soundtrack sorgt), ist eine Art Seminarsituation auf der Bühne zu sehen. Die fünf verbliebenen Performer*innen nehmen auf Stühlen Platz und machen sich Notizen, dienen einander gegenseitig als Supervisor und Übungsobjekt und spielen vor oder hinter dem Plastikvorhang verschiedene Situationen durch – Assessment Center, Bewirtung, gruppendynamische Aufgaben.

Draufsicht auf Managementseminarklischees

Sie sind beflissen zu lernen, wechseln ständig die Rolle zwischen Lehrer und Schüler, klammern sich in den Pausen zwischen dem Seminarprogramm an ihre Jutebeutel und halten sich mit grünen Smoothies fit. In Feedbackrunden werden dann Fehler besprochen und Verbesserungsvorschläge gemacht. Wie immer bei Talking Straight alles in Fremdsprache. Das Publikum hat die Möglichkeit, mit dem Ausfüllen eines Fragebogens an der „Supervisionshoggen“ teilzunehmen und die Performance der Seminarteilnehmer*innen nach unverständlich bleibenden Kriterien zu bewerten.
Es ist eine Weile kurzweilig anzuschauen, wie sich die Menschen auf der Bühne selbst optimieren und für den harten Wettbewerb „da draußen“ vorbereiten. Die gezeigten Situationen haben auch durchaus Wiedererkennungswert und stellen dieses Mal keine theatertypischen Codes aus, sondern die Verhaltensweisen von lernbegierigen Einzelkämpfern, die in höflichem Ton knallharte Kritik aneinander üben. So wirkt es jedenfalls, denn Sicherheit über die Interpretation ist aufgrund der Sprachbarriere nicht zu erlangen.
Leider ist der Abend jedoch zu gleichförmig gebaut, um über längere Zeit hinweg zu fesseln. Eine Übungssituation folgt auf die nächste, getrennt durch nur kurz aufputschende Musikpassagen. Zunehmend wird das anfangs befremdend Wirkende zur Gewohnheit. Womöglich ist dieser Effekt auch das Ziel der Performance. Unterhaltsam ist das jedoch nicht, sondern lähmend und zunehmend enervierend. Während das „Talking Straight Festival“ noch unmittelbar mit der Lebenswirklichkeit der Festivalbesucher spielte und dadurch überraschende Einsichten bot, kapselt sich „Talking Straight Entertainment“ von seinem Publikum ab und kommt über eine Draufsicht auf Managementseminarklischees nicht hinaus.

Talking Straight Entertainment
Ein Simulation von & mit Alicia Agustín, Daniel Cremer, houaïda, Lina Krüger, René Michaelsen, Antje Prust.
Künstlerische Mitarbeit: Michael Ebbing, Bühne: Romy Kießling, Dramaturgie: Ludwig Haugk, Necati Öziri.
Dauer: ca. 2 Stunden

http://www.gorki.de/

 

–––

Andrea Berger

Andrea Berger, Jahrgang 1983, studiert Dramaturgie in an der Theaterakademie August Everding. Arbeitet als freie Produktionsdramaturgin, schreibt für das Münchner Feuilleton und assistiert beim Münchner Tanz- und Theaterfestival RODEO 2016. Lebt in München und Wien.

Alle Artikel