Die eine ist Schauspielerin, hat schon fünfmal in Inszenierungen von Jürgen Gosch gespielt. Beim tt09 ist sie die Mascha in Tschechows „Möwe“. Dort steht auch die andere, eigentlich Regie-Hospitantin, in der Minirolle des „Dienstmädchens“ auf der Bühne, als eine von drei Laien: Meike Droste und Theresa Schütz über ihre Erfahrungen mit dem Regisseur Jürgen Gosch.
Ganz plump gefragt: Was unterscheidet die Arbeit mit Jürgen Gosch von der mit anderen Regisseuren?
Theresa Schütz: Wenn man bei Goschs Proben dabei ist, verwischt die Grenze zwischen Stückinhalt und dem, was man grad gemeinsam produziert, noch viel stärker, als ich es bei anderen Regisseuren erlebt habe. Man kann gar nicht anders, als alles auf sich zu beziehen, auf die eigene Realität, auf den eigenen Alltag, auf das eigene Miteinander.
Ist so eine Grenzüberschreitung nicht auch bedrohlich?
Theresa Schütz: Für mich ist es einfach das Intensivste, was ich bisher im Theater erlebt habe.
Meike Droste: Man muss auf sich aufpassen, aber natürlich hat die Arbeit mit Gosch genau deshalb auch einen extremen Reiz.
Worin besteht dieser Reiz?
Meike Droste: Obwohl ich schon sehr viel Zeit auf Proben mit Gosch verbracht habe, durchschaue ich ihn überhaupt nicht. Oft ist es so, dass er „nur“ da ist und sitzt und schweigt und ab und zu mal ein Wort sagt …
Er redet gar nicht viel?
Meike Droste: Nein. Nur manchmal, wenn er merkt, dass wir überhaupt nicht weiterkommen, sagt er: „Kommt mal runter von der Bühne …“ Er spürt sehr genau Stimmungen auf der Probe. Wenn er merkt, dass es einen gruppendynamischen Prozess ins Negative gibt, dann thematisiert er meist gar nicht das sich stellende Problem, sondern bricht die Probe ab, indem er sagt: „Kommt, wir quatschen mal!“ Dadurch entspannt sich vieles.
Ist das Konfliktvermeidung?
Meike Droste: Nein. Wenn er merkt, dass die Verstimmung produktiv ist, ist es auch schon mal so, dass er sie extrem nutzt. Und dann muss man in diesem Schlamassel drei Stunden drinbleiben und sich absolut festbeißen.
Corinna Harfouch, auch Gosch-Schauspielerin, hat über Jürgen Gosch gesagt, bei der Arbeit mit ihm habe man nicht den Eindruck von Arbeit, sondern von „wahrem Erleben“. Was könnte das bedeuten?
Meike Droste: Das ist schön gesagt, weil „Herr Gosch“ wirklich möchte, dass man immer, auf jeder Probe, alles investiert. „So tun, als ob“ geht nicht!
Wie fordert Gosch diesen Einsatz ein?
Meike Droste: Das ist von Schauspieler zu Schauspieler unterschiedlich. Wenn ein Schauspieler partout nicht will, habe ich noch nicht erlebt, dass Herr Gosch auf die Bühne kommt und anfängt, zu hauen und zu stechen.
Sondern?
Meike Droste: Er kann schon auch bockig werden, aber soweit kommt es meist gar nicht, weil er uns immer, auch unausgesprochen, vermittelt: Wenn wir nichts investieren, kriegen wie auch nichts raus. Er nimmt uns in die Pflicht, weist uns immer wieder auf unsere Verantwortung hin. Er macht uns klar, dass es unsere Probe ist, nicht seine.
Das funktioniert?
Meike Droste: Was ich probiere, mache ich nicht dafür, dass Herr Gosch „Toll!“ sagt. Ich freue mich natürlich, wenn er’s sagt. Und genau das fand ich über die vielen Arbeiten großartig zu bemerken: dass es nicht darum geht, jemandem zu gefallen, sondern dass man für seine Figur und für sich irgendwas herausfindet, herauszufinden versucht.
Galt das auch für die drei Laien, die in der „Möwe“ mitgespielt haben?
Theresa Schütz: Es war beeindruckend, wie sehr Gosch sich am Anfang auch auf mich konzentriert hat. Bis auf einen fragmentarischen Ausruf habe ich ja keinen Text, aber es ging schon viel um Blicke und Bewegungen, die ausgestellt wurden, und da fühlte ich mich bis ins Kleinste bewusst von ihm eingesetzt.
Wie setzt Gosch sich selbst ein?
Meike Droste: Er ist meistens sehr gelassen, aber wie er manche Texte anpackt, das ist schon gewalttätig. Er beschreibt ganz ruhig, was er möchte. Beim „Sommernachtstraum“ (2007 am DT, Am. d. Red.) zum Beispiel erzählte er, dass er schon viermal an diesem Stück gescheitert sei. Und als Regiehinweis für den Beginn des Stücks zwischen Oberon und Titania bemerkte er, dass er ihn sich nur noch als Kampf zwischen den beiden Figuren vorstellen könne. Dann begann die erste Probe und irgendwann kloppten wir uns da alle, so richtig mit Blut und blauen Flecken.
Die Probenarbeit zur „Möwe“ war gewiss friedlicher.
Meike Droste: Bei Tschechow ist die Gewalt weniger physisch, aber Gewalt ist trotzdem der richtige Ausdruck.
Wie bringt Gosch das rüber, wenn er immer so gelassen ist?
Theresa Schütz: Als ich vor ihm auf der Bühne stand, habe ich zum ersten Mal richtig bemerkt, wie er schaut. Und das ist wirklich viel aussagekräftiger als die Absprachen mit der Assistentin, die ich mitgekriegt habe, als ich während meiner Hospitanz neben oder hinter ihm saß.
Wie schaut er?
Theresa Schütz: Er geht in jeden Schauspieler total rein. In jeden Einzelnen.
Meike Droste: Er spielt mimisch auch selber mit. Wenn er merkt, dass etwas passiert, ist er voll dabei.
Ein guter Schauspieler?
Meike Droste: Er sagt ja von sich selber, dass er kein guter Schauspieler ist. Ich habe einen Film mit ihm gesehen, da fand ich ihn ganz toll.
Noch einmal zusammenfassend: Was macht den Regisseur Jürgen Gosch so besonders?
Meike Droste: Für mich als Persönlichkeit, nicht nur als Schauspielerin, war das eine unglaublich wichtige Begegnung. Der Horizont wird viel größer. Der Blick auf eine Szene, der am Anfang vielleicht eher eng oder verstellt war, wird durch ein paar Sachen, die er erzählt, auf einmal viel weiter. Man denkt dann: „Aha, das ist alles möglich. Das Leben beinhaltet all das.“
Theresa Schütz: 1999, noch als Schülerin, habe ich hier am DT den „Menschenfeind“ gesehen. Da bin ich immer und immer wieder reingegangen, und es war für mich eine der Inszenierungen, wo ich gemerkt habe: „Ich muss oder will was mit Theater machen!“ Deshalb ist es für mich ein großartiges Geschenk, Jürgen Gosch jetzt miterleben zu dürfen, und Teil dieser Gruppe, dieser Gosch-Familie, zu sein. Einfach nur reinlassen in den Körper durch Zuhören, das allein ist schon etwas Einzigartiges.