Über politisches Theater

Herbert Fritsch nutzte am Sonntag seine Dankesrede beim Berliner Theaterpreis auch, um von der Wirkmacht eines breiten Grinsens zu erzählen. Ein großer Moment.

Herbert Fritsch nutzte am Sonntag seine Dankesrede beim Berliner Theaterpreis auch, um von der Wirkmacht eines breiten Grinsens zu erzählen. Ein großer Moment.

Was ein kleines Störfeuer alles lostreten kann: Gerade eben noch hatte das umwerfende Ensemble von Herbert Fritsch bei der Verleihung des Berliner Theaterpreises eine hinreißende Laudatio-Show hingelegt und der Berliner Kultursenator Klaus Lederer hatte von der Volksbühne als dem Humus gesprochen, auf dem ein Künstler wie Herbert Fritsch wachsen und gedeihen konnte, da brüllte ein Zuschauer aus den hinteren Reihen: „Warum schließt ihr sie dann?“

Für einen kurzen Augenblick hatte der Saal den Atem angehalten und war sich darüber klar geworden, dass man hier an einem Scheideweg stand: Saalprügelei oder besonnenes Schweigen. Nichts geschah und es ging weiter. Jetzt, wo Herbert Fritsch alleine mit seiner übergroßen Preismappe auf der Bühne steht, ist das ein verlassener Anblick. Dann fängt es auch noch an zu schneien, „eiskalt“ wie er kommentiert. Herbert Fritsch wäre nicht Herbert Fritsch, wenn er aus dieser Situation nicht etwas Geniales zaubern würde. Und das tut er.

Ein Grinsen, das Türen öffnet

„Ich will Euch eine Geschichte über politisches Theater erzählen“, sagt er. Als das Volksbühnenensemble nach dem Jugoslawienkrieg mit „Pension Schöller“ auf einem Gastspiel in Belgrad war, gab es furchterregende Gerüchte über die Situation in dem Land. Alle Taxifahrer führten eine Waffe bei sich, hieß es: „Die erschießen dich dann und lassen dich in irgendeiner Ecke liegen! Das haben mir Leute erzählt und ich habe das auch alles geglaubt.“ Fritsch sagt, er hätte schreckliche Angst gehabt: Vor den Taxifahrern und den Männern im Hotel mit den dunklen Anzügen und den finsteren Blicken.

Dann fasste er, bevor er ins Theater ging, einen Plan: „Ich hab mir gedacht, wenn ich ins Theater komme, dann werde ich einfach ganz doll grinsen und fröhlich sein. Einfach die Tür aufmachen und – egal, wie krampfig es auch ist – ganz entspannt ‚Hey Leute!‘ rufen, mit diesem Grinsen im Gesicht.“ Fritsch spielt es dem Publikum noch einmal vor, das Grinsen, das Tür-Aufmachen mit der Klinke in der Hand.

Eine andere Realität

Von da an, erzählt er, sei die Stimmung schlagartig anders gewesen. Die Menschen fingen an, zu reden, berichteten von ihren Erfahrungen im Krieg. „Plötzlich war da diese unglaubliche Atmosphäre von Aufgeschlossenheit! Und da“, sagt Fritsch, „da habe ich begriffen, was Spielen bedeutet. Nämlich, sich radikal und mutig für etwas zu entscheiden. Für etwas, von dem man will, dass es jetzt ganz anders ist.“

Es ist in diesem Augenblick ein befreiender Moment, von Fritsch zu hören, dass ein politischer Akt in dieser kleinen Geste liegen kann. Dass in der Entscheidung für eine Handlungsalternative auch immer eine andere Realität verborgen ist. Und dass das etwas ist, was uns das Theater schenken kann. Theater von Herbert Fritsch sowieso.

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Eva Marburg

Freie Dramaturgin, Autorin und Journalistin, Berlin. Studierte Theater- und Literaturwissenschaft in Berlin und New York und arbeitet neben ihrer dramaturgischen Tätigkeit als freischaffende Dozentin für Kulturgeschichte. Gegenwärtig studiert sie zudem Kulturjournalismus (MA) an der Universität der Künste Berlin.

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