Am 14. April 2016 wurde im Audimax der Universität Wien die Aufführung von Tina Leischs und Bernhard Dechants „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“ von Mitgliedern der Identitären Bewegung gestürmt. Über zwanzig Rechtsextreme stürzten auf die Bühne, hielten Transparente, warfen mit Flugblättern und Kunstblut. Sie rannten Menschen sowohl im Publikum wie auf der Bühne um und machten keinen Unterschied zwischen schwangeren Frauen, Männern und Kindern. Es gab Anzeigen wegen Körperverletzung. Die DarstellerInnen waren Geflüchtete aus dem Irak, Syrien und Afghanistan. Die Aufführung wurde für sieben Minuten unterbrochen, die Identitären unter „Nazis raus“-Rufen des Saales verwiesen. War das Theater? Die Frage klingt zynisch: es waren Kinder auf der Bühne, traumatisierte Menschen wurden mit Kunstblut und brutalem Tumult konfrontiert, es kam zu Verletzungen. Die Antwort ist klar: es war Gewalt, nicht Kunst. Aber auch Gewalt ist inszeniert. Und Theater findet nicht nur auf der Bühne statt.
Das identitäre Theater ist brachial und wirksam
Von Theaterschaffenden wird gerne Positionierung und Politisierung, eine deutliche Bildsprache, mutiges Auftreten gefordert. All das haben die Rechten. Die neuen Rechten bedienen sich, wie ihre propagandaprofilierten Nazi-Vordenker und die Video-Fundamentalisten des IS einer theatralen Sprache. Wer das negiert, der gibt einem gefährlichen Gedanken Raum: als würde hier eine stürmische Wahrheit ihr Recht fordern. Als wäre das alte platonische Diktum der Trennung von Rhetorik und Wahrheit korrekt. Als wäre nicht jede propagandistische Äußerung, jede AfD-Rede, jedes in die Menge geworfene Flugblatt genau inszeniert. Als wäre da ein Gefühl – die so oft bemühte Angst – die ganz natürlich, ganz unmittelbar und unaufhaltsam in Gewalt umschlägt. Als hätten sie solche Angst, die selbstproklamierten Opfer übermäßiger Empathie, dass sie nicht anders können als mit Kunstblut und „Multikulti tötet“-Flugblatt die Bühne zu stürmen.
Die RegisseurInnen der Identitären Bewegung sind klug: sie arbeiten mit sprachlichen Codes des Bildungsbürgertums und aktivieren mit Wörtern wie Ethnopluralismus das unkritische Belohnungszentrum des Philisters. Ihre Texte sind anheimelnd, schmeicheln einem nunmehr salonfähigen europäischen Lebensgefühl der Beunruhigung, auf Nazi-Polemik wird verzichtet. Erst die Inszenierung ruft zu den Waffen. „Unser Widerstand gegen Eure Dekadenz“, rufen sie und werfen mit Kunstblut. Das identitäre Theater ist brachial und wirksam. Das Publikum soll sich mit den „vergessenen Europäern“ identifizieren, die drohende Katastrophe antizipieren. Nach dem Ideal eines bürgerlichen Trauerspiels wird die Einsicht in eine einfache Moral zum Ersatz der Katharsis. Der Zynismus der Rechten ist die Pervertierung des Mitleids: ja zu eleos und phobos, aber bitte nicht für die Schutzbefohlenen sondern für uns, die Befehlenden.
Die Sprache des rechten Theaters drängt in den Saal
Es ist eine Grenze übertreten worden. In Österreich wurde lang keine Bühne mehr gestürmt. Ein Theaterabend wurde gestört und damit eine neue Sprache des Krawalls normalisiert. Eine Aufführung ist nicht nur was auf der Bühne passiert: die Intervention hat der Inszenierung etwas hinzugefügt, einen Antagonisten, den weder Jelinek noch Leisch und Dechant so hätten auftreten lassen können. Die Sprache des rechten Theaters drängt in den Saal. Und fordert eine Analyse: eine Analyse der theatralen Mittel des identitären Theaters und einer Analyse des Theaters. Denn der Wiener Vorfall zeigt, dass die Inszenierungen der Identitären besser zu drohen werden als unsere. Wie kann es sein, dass die rechten Bewegungen so leicht Symbole für ihre Inhalte finden, während die – überwiegend selbstproklamiert linken – TheatermacherInnen oft nur ihre eigene Hilflosigkeit inszenieren? Einfache Inhalte erleichtern einfache Symbole, ja. Aber das kann keine Ausrede sein, die Sprache den Rechten zu überlassen und den Linken das gebildete, vorsichtige Schweigen.
Theater ist (Bild-, Gesten-, literarische) Sprache. Die Bedeutung eines Wortes ist seine Verwendung in der Sprache – auf der Bühne, auf Transparenten, auf der Straße, im Feuilleton. Die Funktion des Theaters fällt hier mit den Funktionen theaterbegleitender Medien zusammen: wir sind hier, um zu verhandeln? Auf und vor der Bühne, beim Theatertreffen, nicht zuletzt auf den Blogs und in den Zeitungen. Kritik ist nicht dazu da, zu diffamieren oder zu affirmieren, sondern zu diskursivieren. Was passiert da und in welchem Kontext? In welchem Theater? Unter welchen Arbeitsbedingungen? In welcher Stadt? Mit welchem Inhalt, welchem Text, durch wen und mit welchem Zugriff? Was ist da eigentlich geschehen? Lasst uns darüber reden. Was am 14. April in Wien passiert ist, macht klar wie notwendig es ist, die Sprachen des Theaters genau zu lesen und zur Diskussion zu stellen. Die Sprache des Textes, die Sprache der Inszenierung. Wie sehr die Welt ins Theater bricht, zeigt der Sturm identitärer Performer auf eine Bühne voll Geflüchteter.