Warum Afrika, Herr Steinmeier?

Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Politik und Privatheit“ trafen am 2. Mai im Rahmenprogramm des Theatertreffens zwei zusammen, die gemeinsam etwas vorhaben: Christoph Schlingensief will in Afrika ein Opernhaus errichten, Außenminister Frank-Walter Steinmeier will ihn dabei unterstützen. Aber warum eigentlich?

Bis gestern war diese Information irgendwie schillernd gewesen: Christoph Schlingensief möchte ein Opernhaus in Afrika bauen, auf einem grünen Hügel irgendwo in Tansania oder Burkina Faso, und sein prominentester Fürsprecher ist der Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier persönlich.

Steinmeier und Schlingensief

Privates Nachdenken im öffentlichen Raum, Deutschland, Haus der Berliner Festspiele, oberes Foyer: Podiumsdiskussion unter anderem mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Regisseur Christoph Schlingensief und "kulturzeit"-Moderatorin Tina Mendelsohn. Fotos: Jan Zappner

Im Kopf erstanden die herrlichsten Bilder, wie diese Konsensfindung wohl abgelaufen sein könnte – bei irgendeinem Empfang in irgendeinem Garten, oder an irgendeiner Bar nach irgendeinem Podium, auf jeden Fall irgendwas mit Sektflöten in der Hand: „Wir haben da unten immer geklaut, und jetzt klauen wir eben transparent, und wir dürfen da klauen, denn da kommen wir her“, hätte Schlingensief seinen ganz eigenen Kulturimperialismus definiert. Und Steinmeier hätte in pastoraler Ruhe geantwortet: „Das verstehe ich zwar nicht, aber wenn ich es verstünde, wäre es vielleicht schon Politik. Ich finde es dennoch interessant und würde gerne mit Ihnen ein Opernhaus bauen, weil ich Kultur gut finde, besonders in der Außenpolitik.“

Freundlicher Zuhörer. Foto: Jan Zappner

Inzwischen wissen wir: Frank-Walter Steinmeier handelt mit politischem Kalkül, und zwar ausschließlich. Als Wahlkämpfer auf Kulturmission nutzte er seine Redebeiträge vor allem dazu, die Grundlinien seines Verständnisses von auswärtiger Kulturpolitik lehrbuchartig herunterzubeten. Vielleicht wollte er aber auch nur gegen Ende der von 3Sat aufgezeichneten Diskussion mit den zum tt09 eingeladenen Regisseuren Christoph Schlingensief und Volker Lösch, sowie der Journalistin Carolin Emcke einfach noch ein paar Phrasen auf dem gesicherten Terrain des eigenen Beritts loswerden. Zuvor hatte er ja schon einiges einstecken müssen: So war ihm etwa nach einem Plädoyer für die moralische und ästhetische Institution Theater von Volker Lösch durchaus schroff beschieden worden, Theater sei mitnichten ästhetisch, sondern Handwerk.

„Ich bin heute Nachmittag an meinen Bücherschrank gegangen …“

Da konnte der Kanzlerkandidat noch so sehr versuchen, sich zu erklären und kulturbürgerliches Namedropping betreiben („Ich bin heute Nachmittag an meinen Bücherschrank gegangen und habe mir Fritz Zorn noch mal herausgeholt …“, genauer: dessen 1977 posthum erschienene Krebsabrechnung „Mars“), mit jeder weiteren Parteinahme hätte er Angriffe aus irgendeiner Richtung zu befürchten gehabt: von Lösch, dem die Düpierung des Hartz IV-Gestalters Steinmeier („eine Reform, für die auch ich stehe“) eine Pflicht sein musste; Christoph Schlingensief ist skeptisch. Foto: Jan Zappnervon Carolin Emcke, die jede konziliante Annäherung an Löschs Theater mit einer Kritik am „Mythos des Authentischen“, der Unfähigkeit, noch ästhetische Formen und Fiktionen zu finden, kommentiert hätte; am schlimmsten aber durch die väterliche Aufmunterung Schlingensiefs, welcher der Kanzlerin Angela Merkel flugs allen Kunstverstand absprach, um Steinmeier zu bescheinigen, von ihm komme „da schon mehr“.

Reden von China und einem kulturellen Polyzentrismus

Doch Steinmeier blieb ausgegrenzt, abgehängt und im Diskurs weitgehend unvernehmlich. Als er dann anfing, selber interessiert Fragen an Emcke, Lösch und Schlingensief zu stellen, fiel das wohl auch der zunehmend verblassenden Moderatorin Tina Mendelsohn auf, und sie gab Steinmeier (nicht Schlingensief) das Forum, das da hieß: „Warum Afrika?“ Und der Kandidat kam, mit der ganzen Gewalt des Außenpolitikers: sprach von einer sich verändernden Welt; sprach von China und einem kulturellen Polyzentrismus, der es unwahrscheinlich mache, dass die europäische Aufklärung weiter selbstverständlich globales Leitbild bleibe; sprach daraufhin von der wachsenden Notwendigkeit, sich mit der eigenen kulturellen Leistung international zu zeigen: „Wir bringen etwas mit, was in den Ländern, in denen wir zu Gast sind, mit einem besonderen Wert versehen ist.“ Spätestens an dieser Stelle hätte die Moderatorin noch einmal fragen müssen: „Warum aber gerade Afrika?“ Und warum eigentlich Schlingensief – in Afrika? Und was man denn nun eigentlich international verkaufen wolle: Kant oder Chaos? Allein: Die Frage wurde nicht mehr gestellt. Uns beschäftigt sie weiter.

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Johannes Schneider

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