Die tt-Jury-Schlussdiskussion

In der traditionellen Abschlussrunde des Theatertreffens stellen sich alle sieben Juroren den kritischen Fragen des tt-Publikums.

Wir waren dabei und haben live für Sie mitgebloggt.

Die Teilnehmenden:
Eva Behrendt, Berlin, Jürgen Berger, Heidelberg, Wolfgang Höbel, Hamburg, Stefan Keim, Wetter, Ellinor Landmann, Basel, Andres Müry, Salzburg und Christopher Schmidt, München. Moderation: Barbara Burckhardt.

18:37: Damit sich die nachfolgende Sendung nicht verschiebt, beendet Barbara Burkhardt die Diskussion. Es folgt jetzt im Festspielhaus: „Die Kontrakte des Kaufmanns“. Viel Vergnügen!

18:34: Ein Isländer meldet sich aus dem Publikum zu Wort. Der sollte sich auskennen, mit dem Thema Krise. Er kritisiert „Kleiner Mann“, weil es nicht versucht, etwas zu erklären. Er sagt, in Island gäbe es dafür den Begriff „Krisen-Porno“. Bei Marthaler sei es ihm ähnlich gegangen. „Kleiner Mann“ sei kein politisches Theater, sondern nur „ein altes Stück sehr gut gemacht, mehr nicht.“

18:30: Die Dramaturgin im Publikum kommt noch einmal zu Percevals „Kleinem Mann“ zurück. In Stichworten: Soße von Inszenierungsmechanismen, Historisierung. Höbel antwortet: „Was Sie über diese kluge Arbeit sagen, verkennt völlig, dass zu einem großen Theaterabend auch eine große Portion Schmiere gehört. Und es sieht so aus, als wüssten Sie wohin es gehen soll mit dem Theater. Wir in der Jury wissen es nicht.“ Die Zuschauerin: „Jeder hat eine Illusion. Sonst würde man kein Theater machen.“

18:25: „Jelinek ist schon eine sehr kühne Weiterentwicklung dessen, wie Theater auf unsere Zeit reagieren kann“, findet Jürgen Berger. Müry: „Das Stück ist ein links-resignativer Stammtisch.“ Zeitgenössische Performance der Zeitvernichtung. Für ihn ist es DIE Inszenierung des Theatertreffens.

18:23: Der Zuschauer, ein Belgier, sagt noch einmal: Er habe nichts gesehen, was ihm etwas über die jetzige Zeit erzähle. Schmidt betont noch einmal:  „Wir haben kein Krisentableau zusammengestellt.“ Immer noch, ein Missverständnis. Komisch, dieses Jahr gab es gar kein Motto, so wie in den letzten Jahren. Wer hat eigentlich mit diesem Label angefangen?

18:22 Keim: „Theater beschäftigt sich mit Politischem, will aber sinnliches Erleben sein.“ Er habe viel Dokumentartheater gesehen, wo er dachte: „Dafür sitze ich nicht im Theater, das kann ich auch in einem guten Magazin im ICE lesen.“

18:20: Zurück zur Politik. Ein Zuschauer findet, er bekomme mehr Informationen aus einem guten Wirtschaftsessay als aus den Theaterabenden. Man müsse auf der Bühne viel dokumentarischer vorgehen, weniger klassische Texte, nicht immer wieder mit der Universalität des Theaters anfangen. Verhaltener Applaus.

18:16: Matthes grätscht rein. Bruno Ganz habe seine Kritik sehr scheu vorgetragen, es sei kein großer Kulturkampf gewesen, nur drei Sätze dazu.

18:14: Müller geht weiter und kommt zu Bruno Ganz und dem Anfang der Diskussion zurück. Das Kollektiv werde bei diesem Theatertreffen wieder mehr betont. „Die Zeit der großen Subjekte ist vorbei“. Judith Liere hats ja schon gesagt.

18:13: Kritiker aus dem Publikum: Tobi Müller will doch nochmal über Kitsch reden.

18:11: Ulrich Matthes spricht wieder aus dem Publikum: „Kleiner Mann“ habe viele Menschen bewegt und zu Gesprächen angeregt, es sei jenseits von allem Kitschverdacht und „erreiche etwas in einem“ und sei trotz der einfachen Form „hochpolitisch“. Krise mal total sinnlich, meint Matthes. Das hat er in den anderen Aufführungen des tt10 vermisst. Da sei der politische Anspruch „merkwürdig abstrakt“ geblieben. Applaus.

18:10: „Theater kann auch Kraft geben, das alles auszuhalten!“ Herr Keim ist ganz gerührt. Hach.

18:09: Eva Behrendt möchte dazu keine pauschale Antwort geben. Und will das Theater nicht mit zuviel „Weltveränderungsoptimismus“ überfrachten.

18:06: Keim fällt es schwer, zu antworten, weil die Zuschauerin schon „so viele wunderschöne Sachen“ dazu gesagt habe. Er sieht einen Trend zur Sehnsucht nach Warmherzigkeit auf dem Theater.

18:04: Eine Zuschauerin möchte jetzt gerne mal darüber diskutieren, „was das Theater kann und soll in unserer Zeit“. Aber sie hat schon eine Antwort gefunden, in der Fallada-Inszenierung: Es habe sie ans japanische Nô-Theater erinnert. Das Theater habe in dieser Inszenierung zu seinem Anfang zurückgefunden, seinem sakralen Raum.

18:02: Die Dramaturgin aus dem Publikum wieder: Sie findet, die Auswahl sei zu sehr „der kleinste gemeinsame Nenner“, zuviel Konsens. Berger widerspricht: Bei den „Kontrakten“ habe es eine lange Diskussion gegeben, bis alle sieben Juroren überzeugt waren, „keinen billigen Konsens“.

18:00 Moderatorin: Über diese Begriffe wie das „Beste“ und „Bemerkenswerte“ zu diskutieren, führe wohl nicht weiter. Ach so? Jetzt doch nicht?

17:59 Die Moderatorin besteht auf einer schärferen Begriffsdefinition von „bemerkenswert.“ Keim: „Das Beste und das Bemerkenswerte fließen schon zusammen.“

17:56: Müry: „Wo sieht man die gleiche Perfektion wie bei Marthaler?“ Zuhörerstimme: „Bei Marthaler.“ Hm.

17:55: Ein Versuch der Definition am Beispiel Marthaler von Berger: „Bemerkenswert ist an der Inszenierung dieser Stillstand, der mir hier präsentiert wird.“ Er zeige keinen Anlass zum sinnvollen Leben – aber trotzdem gehe es weiter.

17:52: Die Dramaturgin findet, es gibt viel Besseres zurzeit in der deutschen Theaterlandschaft, als das, was sie hier in Berlin gesehen hat. Und schon ist man wieder einmal bei der Frage: „Was heißt eigentlich bemerkenswert?“

17:50: Die Zuschauerin findet, der Feuilleton-Diskurs ist ein anderer als der Theater-Diskurs. Das verstehen die Kritiker nicht. „Was sind Sie denn, sind Sie auch Kritikerin?“, fragt Müry. Die Rednerin ist Dramaturgin (und hat auch schon einmal eine Theaterkantine von innen gesehen > 17:31)

17:49: Keim klärt auf: „Wir haben uns alles angeschaut, vom Well made play bis hin zum Experimentellen. Aber man muss konsensfähig sein.“ Sehr schön imitiert er ein trotziges Kind: „Ich will aber.“ Und schließlich erklärt er: „Wir habe schon nach den Extremen gesucht. Damit man sich darüber streiten kann.“

17:47: Technische Probleme, das WLAN hält uns auf … Die Diskussion hat sich nochmal gedreht. Eine Zuschauerin fand „Life and Times“ eine der wenigen wirklich guten Inszenierungen auf diesem Theatertreffen. Frage: Glaubt die Jury wirklich, dass das die bemerkenswerten Inszenierungen sind? Oder doch nicht nur die Jury-Geschmäcker widerspiegelt?

17:45: Müry stellt nochmal klar, dass er „Life and Times“ nicht einladen wollte. Sondern lieber die Burgtheater-Produktion „Eine Familie“ beim tt10 gesehen hätte. So.

17:44: Die Jury lobt allerdings die Konsequenz des künstlerischen Konzepts der Inszenierung.

17:42: Neues Thema, neues Glück? Life and Times!! Publikumsbeitrag: 3 Stunden ohne Aussage, Musiktheater, englischsprachig, also: doof!

17:37: Was brauchen wir, um uns in die Reflexion über unsere eigenen Klischees zu bringen? Jetzt kommt die Gegenrede aus dem Publikum. Bei einer Frau scheint alles funktioniert zu haben: „Wir wurden gezwungen, hinzugucken.“

17:35: Wer hätte es gedacht: „Die Schmutzigen…“ scheint insofern zu funktionieren, als dass sie eine der meistdiskutierten Inszenierungen dieser Diskussion ist. Da wurde ein wunder Punkt getroffen.

17:33: Höbel sagt: „Der Abend ist eine Einladung an das bürgerliche Publikum, um über Klischees nachzudenken.“

17:31: Müry vergleicht das, was in Karin Beiers Glaskasten passiert, mit der Wirklichkeit, die Schauspieler in Theaterkantinen und Garderoben erleben. Ulrich Matthes schreit aus dem Publikum auf: „Herr Müry! Das ist doch absurd!“ Er wird richtig laut. Yeah.

17:26: Es entwickelt sich ein kleines Streitgespräch. Die Zuschauerin beharrt auf der Inkonsequenz der Inszenierung. „Sozialpornographie!“ Applaus aus dem Publikum. Höbel bestätigt den Eindruck der Zuschauerin, glaubt aber, dass Konsequenz Eindimensionalität bedeutet hätte. Er freut sich über die „pornographische Begeisterung“ der Schauspieler. (???) Ja, sicher.

17:24: Oh, eine Meldung! Frage zu „Die Schmutzigen…„: „War die Einladung wirklich eine Konsensentscheidung der Jury?“ Die Zuschauerin sieht das Bemerkenswerte in dieser Inszenierung nicht. Antwort von Stefan Keim: Gebrochener Blick auf die Unterschicht, der dazu führt, dass der Zuschauer viel über sich selbst lernt und über seine Meinung über Hartz IV-Empfänger. „Meine Inszenierung des Jahres“, sagt Keim.

17:23: Jetzt darf das Publikum ran: Schweigen, erstmal.

17:20: Wolfgang Höbel entgegnet auf „Onkel Bruno Ganz“ und seine Kritik.

17:17: Die Jury sagt, dass es keine bewusste Auswahl für das Thema Krise gab, das sei mehr so „passiert“.

17:16: Endlich! KRISE!

17:15: Widerspruch von Christopher Schmidt! Horváth sei doch Texttheater, werktreu noch dazu. Jürgen Berger: Der musiklastige Marthaler ist in diesem Jahr der textlastigste Marthaler seit jeher.

17:13: Stefan Keim sieht Tendenz zum sinnlichen Erzählen. Seitenhieb auf Ganz: Seine Generation habe Texte auseinandergenommen, Subtexte reingelegt. Keim kann verstehen, dass die Jungen erst einmal weg wollen vom Text.

17:10: Cut up als Erzähltechnik dieses Theatertreffens? Burckhardt glaubt etwas beobachtet zu haben, das die Schauspieler vielleicht am Einfühlungsspielen gehindert habe. Die Jury sieht das nicht ganz.

17:08: Bruno Ganz soll den Ball mal schön flach halten, sagt Müry. Seine Kritik an der Stückauswahl sei kein Gesprächsangebot gewesen.

17:05: Es fängt gut an. Nach zwei Minuten brüllt es schon aus dem Publikum: „Wer sitzt da vorne?“ Die Jury stellt sich dann mal brav vor.

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