Eine Begegnung mit der Zeit

Eine der Überschriften des Theatertreffens lautet „Zeit”. „Waste my time. Über die Kunst der Entschleunigung“ heißt die Diskussion zum Thema, heute um 18 Uhr im Festspielhaus. Ich wollte zuvor beim Theatertreffen von möglichst vielen unterschiedlichen Menschen unterschiedlicher Kulturkreise wissen: Wie gehen sie mit Zeit um? Wie kreieren sie Momente der Entschleunigung in einer so schnelllebigen Welt wie der unsrigen? Beim Besuch im Internationalen Forum, einer der drei TT-Talente-Plattformen, war es gar nicht so leicht, mit den Teilnehmern über das Thema „Zeit“ zu sprechen – denn, paradox genug: dafür bleibt wenig Zeit.
Im Internationalen Forum kommen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten zusammen, die einzigen Gemeinsamkeiten: Sie arbeiten alle mit Theater und sie sprechen alle deutsch. Während des Theatertreffens nehmen sie an unterschiedlichen Workshops teil, halten Vorträge über ihre Arbeit und – wie kann es anders sein – gehen ins Theater. Ein straffes Programm.
Als stiller Beobachter habe ich die Pausen zwischen den Workshops besucht, gewartet und versucht, die Momente einzufangen, in denen die Teilnehmer sich zur Langsamkeit besinnen. Anschließend habe ich sie nach ihrem Begriff von Zeit befragt.
Notizen über die „Zeit“ von Schauspielern, Dramaturgen und Regiesseuren

Paul Sebastian Garbers // Regisseur und Bühnenbildner // Stockholm. Foto: Nadine Loës.



Zur Arbeitsweise mit Zeit
Regisseure: Die Idee muss an die Wirklichkeit angepasst werden und da ist es trotz Zeitdruck wichtig, Termine zu haben.
Dramaturgen: Grundsätzlich gibt es einen Unterschied zwischen Stadttheater und freier Szene im Bezug auf Zeit. Im Stadttheater muss man viel Beiwerk leisten und es wird vieles (aus-)diskutiert. In der freien Szene kann man diesbezüglich freier arbeiten. 
Schauspieler: Eine Rolle entwickelt sich durch die Zeit. Fehlt es an Zeit, fehlt es an Substanz.

Anne Zacho Søgaard // Regisseurin // Kopenhagen. Foto: Nadine Loës.


Zur Bedeutung von Zeit
Alle: Zeit bedeutet viel, sie ist Luxus, doch die Wertschätzung von Zeit fehlt. Geld hat in der Gesellschaft oft mehr Wert.
Es gibt nichts Schlimmeres, als das Gefühl zu haben, etwas raubt einem die Zeit. Gleichzeitig ist es schön, Zeit zu verschwenden.

Tarun Kade // Dramaturg // Bremen. Foto: Nadine Loës.


Zur Entschleunigung
Schauspieler: Dieses Thema hat viel mit einem selbst zu tun, wie man sich im Bezug auf die Zeit verhält. Und wir sind schließlich in dieser (schnelllebigen) Zeit geboren und es gewöhnt. Man darf es nicht nur als Vorwurf sehen.
Regisseure: Als Künstler kämpf man für die Zeit. Alles hat seine Zeit. 
Dramaturgen: Neue Produktionsformate einführen, wie z.B. das Theater als Forschungsprojekt sehen. Die Premiere ist nicht das Endprodukt, der Weg ist das Ziel. Es gibt Zwischenstationen, an denen der Zuschauer teilhaben darf.

Michael Ronen // Regisseur // Berlin. Foto: Nadine Loës.


Zur Rückbesinnung auf Langsamkeit
Schauspieler: Langsamkeit kann auch in fünf Minuten passieren. Man sollte ein eigenes Bewusstsein für Zeit entwickeln. Meine Langsamkeit entspricht nicht der meines Gegenübers.
In unterschiedlichen Nationalitäten gibt es ein unterschiedliches Verhältnis zur Zeit, für den einen sind drei Minuten eine Ewigkeit, für den anderen eine Kleinigkeit. Man entwickelt merkwürdigerweise eine Schuld oder ein schlechtes Gewissen, wenn man langsam arbeitet.
Dramaturgen: Ein Bewusstsein für Zeit ist dringend notwendig. Man kann hartnäckig für Zeit kämpfen, als sogenannter Anwalt des Wertes von Zeit. 

Friðgeir Einarsson // Regisseur, Autor, Performer // Reykjavik. Foto: Nadine Loës.

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Nadine Loës

nadine-loes.de/

Nadine Loës, geboren 1979 in Stuttgart, lebt und arbeitet derzeit in München und Berlin als freiberufliche Mediengestalterin und Fotografin. Nach diversen Praktika in einem Theater, Fotostudio und Grafik-Büro in Stuttgart, entschied sie sich für eine Ausbildung als Mediengestalterin (Print) in Stuttgart, bevor sie nach München zog, um dort Fotografie zu studieren. Durch ein Praxissemester gelangte sie im Jahr 2006 an das BildMuseet nach Umeå in Schweden und danach durch ein Theateraustauschprojekt zwischen Brasilien und Deutschland, für das sie fotografierte, nach Rio de Janeiro. Seit 2011 nimmt sie an einem Postgraduiertenstudium für Fotografie an der Ostkreuzschule in Berlin teil.

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