Fazit

Die acht diesjährigen Theatertreffen-Blogger haben Nachlese gehalten. Hier geben sie ihre ganz persönliche Rückschau auf 22 Tage Kulturjournalismus im Netz: die Zeit, die bleibt.

Blogger-Pyramide: Kim Keibel, Judith Liere, Anna Pataczek, Alexandra Müller, Elisabeth Hamberger, Shane Anderson, Kai Krösche, Fußball (von links nach rechts, im Foto fehlt Barbara Behrendt) Foto: Selbstauslöser/Kim Keibel

Wenige Tage nach dem letzten Theatertreffen-Abend. Ich wasche Wäsche, gehe einkaufen um meinen Kühlschrank zu füllen, melde mich bei meinen Freunden zurück und wundere mich, dass die Pflanzen auf dem Balkon so geschossen sind. Es fühlt sich an, als käme ich aus dem Urlaub. Dabei war ich bloggen. Über drei Wochen ohne ausreichend Schlaf. Ständig den Laptop und das Aufnahmegerät mitgeschleppt, genauso wie bestimmte Wörter, die immer und immer wieder durchdacht werden wollten. „Ästhetik“ oder „Regietheater“ zum Beispiel. Tägliches Sich-Einlassen auf neue Bühnensprachen und -bilder, Menschen kennenlernen und mögen, Debatten verfolgen – kurzum, permanente (wundervolle) Reizüberflutung. Und trotzdem erholt. Vielleicht weil Bloggen so spielerisch ist, weil nach schwerer Kost das lockere Häppchen folgen darf – und es funktioniert- , weil es ein Arbeiten der kurzen Wege war, schließlich saßen wir wie im Korrespondentenbüro direkt vor Ort. Es war Luxus-Urlaub. (Anna Pataczek)

Wird es wieder einen Tag geben, an dem ich nicht müde bin? Kann eine gute Theaterkritik in vier Stunden entstehen? Kann ein guter Text überhaupt zwischen Redaktionskonferenz und Interviewtermin am Nachmittag entstehen? Ist es ok, zum Frühstück nur Schokokekse in der Konferenz zu essen? Kann man einen Theater-Blog mit Texten füllen, die neue, kleine, nette Formate haben – und trotzdem Substanz? Tut es dem Schreiben gut, dem Theaterbetrieb so nah zu kommen? Sind Premierenfeiern für Kritiker tabu? Warum schmecken Brezeln in Berlin nicht? Darf ein Text verändert werden, wenn er schon online steht? Darf die Festivalleitung Korrekturen einfordern? Wie viele Marthaler muss man gesehen haben, um über Theater schreiben zu können? War Neuhardenberg Zeitverschwendung? Warum schwärmen wir alle von der wahnsinnig konservativen Kleiner-Mann-Inszenierung? Warum muss eine Jury in einer Stunde im Fernsehen entscheiden, wer 10.000 Euro gewinnt? Warum bekommt ein gestandener Schauspieler von 40 Jahren einen Nachwuchs-Preis? Fragen über Fragen, weit über die Blogger-Zeit hinaus… (Barbara Behrendt)

Nun bin ich wieder in diesem kleinen Städtchen neben Stuttgart und Berlin ist so fern und das Theater auch. So fühlt es sich auf jeden Fall an. Die Wochen beim Theatertreffenblog waren intensiv und arbeitsam. Jeden Tag eine Redaktionssitzung, neue Themen und Aufgaben. Oft dachte man: „Herrje, wie soll ich das nur alles schaffen!“ und dann waren da die anderen, die Mitblogger, die einem halfen und Mut machten und Gedanken schenkten. Und dann ging das alles. Stolz war man dann auf sich und die nächste Redaktionssitzung und die nächsten Themen und Aufgaben konnten dann ruhig kommen. Die Krise war immer gegenwärtig – sowohl auf der Bühne wie auch bei der Arbeit (in Form eines überdimensionalen Kamerarucksackes auf meinem Rücken). Aber nun weiß ich, dass man sie auch einfach mal abstreifen kann, die Krise, und dann ganz beseelt sein Tanzbein schwingen darf. Ich bin dankbar, dass ich dabei sein durfte beim Theatertreffenblog 2010. Ich bedanke mich bei den Mentoren für die langen Diskussionen und die vielen Denkanstöße und ich sage meinen Mitbloggern Danke für ihre Offenheit und Herzlichkeit. (Elisabeth Hamberger)

Eine Woche ist es schon wieder her. Ich muss aufpassen, dass ich hier nicht sentimental werde. Aber wenn das Theatertreffen eines war, dann menschlich. Wir haben in unseren Redaktionssitzungen jede Menge „Fässer aufgemacht“, große, kleine, historische, theoretische, vielschichtige, emotionale, postmoderne, authentische, transzendentale … you name it. Sachlich ausgedrückt: Diskurse. Wir haben so ziemlich überall nach Fassdeckeln gesucht: In den Wettbewerbsbeiträgen, beim Stückemarkt und in den heimlich mitgehörten Gesprächen auf den Premierenpartys. Aber der Boden unserer Fässer war meistens gar nicht so sachlich. Auf unseren Fassböden ging es vor allem um die Liebe zum Theater. Ach, jetzt wirds doch sentimental. Egal. Bei allen Bemühungen gute Kulturjournalisten zu sein, waren wir alle offen dafür, uns berühren zu lassen von dem, was wir sehen würden. Diese Offenheit war nicht nur gut für die Stimmung in unseren Sitzungen sondern auch für das Quatschen in den Schreibpausen, beim Aushalten des ein oder anderen harten Kommentars und natürlich und immer wieder beim Theater schauen. Hach, Kinder … was soll ich da noch sagen. Wann machen wir das nächste Fass auf? (Alexandra Müller)

Ich hatte ja ein bisschen Angst am Anfang. Vor diesem Theaterbloggen und vor den Theaterbloggern, den anderen. Davor, dass da sieben Jungjournalisten stehen, die die ganze Zeit nur hochintellektuelles Dramaturgenvokabular absondern wollen. Davor, dass das alles dann doch wieder nur die Fortsetzung des Feuilletons mit anderen Mitteln wird. Und dann? Treffe ich auf sieben höchst unterschiedliche und höchst kluge Menschen, von denen jeder einen Sack von schlauen, skurrilen, seltsamen und charmanten Ideen dabei hat, wie man sich heranwagen kann, an dieses Schreiben übers Theater. Und aus diesem Sack haben sie jeden Morgen um zehn ein paar dieser wunderbaren Ideen auf den Konferenztisch geworfen, und ich habe auch noch welche dazu geworfen und am Ende des Tages standen dann fünf oder mehr Beiträge auf der Seite, die von der soliden Inszenierungskritik über das Hintergrundinterview bis zum spontanen „Was ich auch die ganze Zeit mal loswerden wollte“ reichten. Und genau diese Mischung hat wahnsinnig Spaß gemacht. Und auch Mut: sich einfach mal zu trauen, ein bisschen anderes an das hochkulturheilige Theater ranzugehen, nämlich mit Lust und Leidenschaft und Meinung und Motzen und Lieben und Grübeln. (Judith Liere)

Da rast man drei Wochen lang mit 200 km/h durch das Theatertreffen, die Tage, Inszenierungen und Premierenfeiern fliegen an einem vorbei wie ein paar Straßenschilder; und plötzlich latscht man mit voller Wucht in die Bremse, steht man auf einmal still. Dann: Abfahrt nehmen, rein in die Stadt, in den Alltag. Die Bäume und Menschen links und rechts werden wieder sichtbar, man reiht sich wieder ein ins Stop-and-Go des Feierabendverkehrs und ist wieder ganz zurück in seinem alten Leben. Doch die Erinnerung bleibt: An 21 Tage voller Inspiration, voller spannender – und ebenfalls ein paar langweiliger – Theaterabende; an ein großartiges und großartig zusammengewürfeltes Team, das sich ganz ohne Eitelkeiten, dafür aber mit umso mehr Hilfsbereitschaft gegenseitig unter die Arme griff und motivierte. An die endlosen Diskussionen und die Freude über Meinungsverschiedenheiten (ohne dass es je zum fiesen Streit eskaliert wäre), an die leider wetter- und stressbedingt wenigen, aber dafür sehr schönen Verschnauf-Abende. Mir war’s eine Freude, eine Ehre, eine Bereicherung, eine tolle Erfahrung: Super, dass ich dabei sein konnte, super, wenn sich irgendwann nochmal eine Zusammenarbeit ergibt. (Kai Krösche)

Meetings, editorial meetings, meeting new people. Interviews, workshops, debates, parties, blogging. Intense bike riding. And, somewhere amongst all of this, there were also the performances. Marthaler, Nature Theater of Oklahoma, Stemann. Whoa. The performances this year at tt changed a lot for me, for my writing practice, for my idea of what theater is and could be, for my appreciation of festivals. In seeing these performances and blogging about them, I realized that an institution like tt is really quite amazing. They’re willing to take risks in their performances and to then allow voices from within to be critical, investigative and full of questions. This was very productive for me, for I too learned to take risks, to try things I normally wouldn’t do. I’m very thankful for this time and for being able to work together with such an intelligent, inspired team of bloggers. Hoch, hoch, hoch!!! (Shane Anderson)

Und schon ist es wieder vorbei. Drei Wochen habe ich in einem parallelen Theateruniversum gelebt. Ich bin in dieser Theater-Blase von einem Termin zum nächsten geflogen. Dass ein Blog ein Medium ist, dass sich zeitnah mit einem Thema auseinandersetzt und daher wir, die „Themenproduzierer“, immer ein wenig unter Zeitdruck stehen würden, war mir von vornherein klar. Was mir allerdings nicht klar war, dass keine Zeit dafür vorgesehen war, sich länger mit jemandem auseinander zu setzen. Das wäre mir sehr wichtig gewesen als Ausgleich zum schnellen, eigenen Rhythmus des Festivals. Also habe ich aus der Not eine Tugend gemacht. Meine neben der dokumentarischen Arbeit entstandenen Bilderserien leben von dieser Schnelligkeit und wären auch sonst nicht umsetzbar gewesen. Ich habe im Endeffekt den ganzen Zeitdruck und die Anspannung mit meinen Protagonisten geteilt und bin ihnen daher sehr dankbar für ihre Mitarbeit. Wir saßen eben alle in einem Boot – dem tt10-Boot – , und sie haben es nicht zum Kentern gebracht. Danke! Und vielen Dank, meine liebe Redaktionsgruppe! Ich fand euch super! (Kim Keibel)

Und nun? Eine kleine Pause... Foto: Selbstauslöser/Kim Keibel

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