Parallel zum Theatertreffen findet in Berlin das Deutsche Kinder- und Jugendtheatertreffen „Augenblick mal! 2009“ statt. Constanza Macras zeigte am 8. Mai im Theater Hebbel Am Ufer ihr von der Kritik gefeiertes Tanztheaterstück „Hell on Earth„, bei dem sich Jugendliche aus Berlin-Neukölln und professionelle Tänzer vom Ensemble DorkyPark auf der Bühne austoben. Es steht auch auf der Longlist der diskutierten Inszenierungen des tt09.
Ein kleiner Junge, in orientalische Tücher gehüllt, schimpft vom Bühnenrand herunter: „Die Männer wollen ja nur ficken!“ Andere Jugendliche spielen mit Jesus, Maria und Josef – aus Plastik. Josef zu Maria: „Sei mal ehrlich. Wo kommt dat blöde Kind her?“ Unbefangen und ganz und gar nicht verschämt behandeln die Akteure in „Hell on Earth“ der argentinischen, in Berlin lebenden Choreographin Constanza Macras Themen, die häufig tabuisiert sind. Das Publikum lacht schallend, befreit. Die jungen Selbstdarsteller weihen in ihren Alltag im Berliner Stadtteil Neukölln ein, dem meist das Bild vom „Problemkiez“ anhaftet, erzählen Zukunftsträume und Migrationsgeschichten. In Sachen Vorurteile kommt man sogar ein Stück weiter: Das Kopftuch, oft mit der traditionsbewussten Muslima gleichgesetzt, hindert die freche Fatma El-Moustapha nicht daran, die schlagfertigsten Sprüche zu bringen.
„Hell on Earth“, das sich an der Schnittstelle von Tanz, Theater und Doku, von Kunst und Jugendarbeit bewegt, stand in der Diskussion zur diesjährigen Theatertreffen-Auswahl – und regt wirklich zur Diskussion an. Kann Jugendtheater mit den Kriterien der Kunstkritik beurteilt werden? Verstehen Kinder Kunst anders als Erwachsene? Warum interessiert sich das Stadttheater in letzter Zeit vermehrt für die Arbeit mit Jugendlichen und für Projekte der politischen Bildung? Ist das klassische Theater etwa überholt?
Ein Theater des Jetzt
Seit der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker Sir Simon Rattle mit dem Tanzfilm „Rhythm is it!“ den Austausch zwischen Jugendlichen und Künstlern zu einem Hochkulturereignis inszenierte, stapeln sich Berichte über ähnliche Projekte in den Feuilletons. Doch trotz aller verkopften Analysen bliebe dennoch der Prozess und der persönliche Gewinn für die Kinder interessanter als das künstlerische Resultat, betont die Journalistin und tt09-Jurorin Eva Behrendt.
Das trifft gewissermassen auf „Hell on Earth“ zu. Eindeutig beweist das Stück, dass mit Jugendlichen ein Theater des Jetzt entstehen kann. Es erweist sich andererseits doch auch als sehr wohlwollend: Wie Mädchen sich Jungs gegenüber behaupten und die Oberhand gewinnen, kommt gut an. Draußen im echten Leben sieht es oft ganz anders aus.
Konservative 12.-Klässler?
Jedenfalls boomt das Jugendtheater. Ursula Jenni hat in Berlin mit ihrem Projekt TUSCH mittlerweile ein Kooperationsnetzwerk von 36 Theatern und 40 Schulen initiiert. 45 Theater in Deutschland haben nun auch eine eigene Jugendsparte, weiß Birgit Lengers von der Dramaturgischen Gesellschaft in Berlin. Die Vorteile: Es käme Leben in die Bude. Die Theater lernten ihre zukünftigen Zuschauer kennen und könnten sie früh ans eigene Haus binden. Das, was für die Jugendtheatermacher so unumstritten erscheint, nämlich Kinder auf die Bühne zu holen, ist für viele Kulturschaffende nicht ganz so einleuchtend: Das klassische Theaterrepertoire würde durch experimentelle Projekte bedroht, lautet einer der Einwände. Eine Lehrerin erzählt nach der Macras-Aufführung, die Schüler ihrer 12. Klasse wären eher konservativ veranlagt und gar nicht an „bunt, nackt und chaotisch“ interessiert. Umsomehr müssten die Kinder mit ungewohnter Kunst konfrontiert werden, könnte man dagegenhalten. Schade, dass an dieser Diskussion so selten die Kinder beteiligt sind. Ihre Sicht der Dinge wäre aufschlussreich.