Bei der „Theater und Netz-Konferenz“ in der Heinrich-Böll-Stiftung gab es zwei Typen von Leuten (und diese Dichotomie darf mir in den Kommentaren gern um die Ohren gehauen werden. Oder auch nicht, eins von beidem). Da waren die Netzaffinen, die mit ihren Smartphones die projizierten Twitterwalls mit Hashtags und akribisch geformten Tweets fluteten und dann gab es da die eher Zweifelnden, die aber nicht sagen durften, dass sie das ganze Netzgedöns irgendwie überflüssig finden für die Theaterarbeit. Die sagten immer „Wir wollen ja” und „Das wäre schön” und die sagten auch ganz oft „Wie kann man Social Media benutzen, um die Zugangsschwelle zum Theater zu überwinden?”
Und am Wochenende trafen sich also diese beiden bei einer Konferenz und versuchten gemeinsam, produktiv an der Kulturlandschaft herumzudoktern. Der Generationskonflikt, der zwischen beiden Lagern klafft, ist ein ganz anderer als bloß zwischen denen, die mit der Technik aufgewachsen sind und denen, die es nicht sind. Die Fragen, die von beiden Gruppen (und, na gut, von denen zwischen den Polen) an den digitalen Raum gestellt werden, sind so fundamental verschieden, dass es beim gemeinsamen Vokabelfinden regelmäßig Schwierigkeiten gibt.
Bei der #TN15 war deshalb eine Sache bei weitem erstaunlicher als die auf Papier ausgedruckte und ausgehängte Teilnehmerliste (sehr nützlich): nämlich die Verteilung von Netzaffinen und Zögernden – erstere zumeist im Publikum und letztere eher in den Panels (nicht so nützlich). Richtig erstaunlich ist auch, dass das Händeringen um das Web und Theater schon seit Jahren geführt wird, ohne dass sich viel bewegt. Eine Bekannte, die bereits 2002 als Schauspielerin zum Internationalen Forum eingeladen war, hat damals schon am Manifest „Netz 02“ mitgearbeitet. Zoom, pinch, guck nochmal, 2002! (Verlinken geht leider nicht, denn das browsebare Theatertreffen-Onlinearchiv mit allen Materialien geht leider nur bis 2004, davor ist anscheinend nichts Spannendes passiert.) Man darf da ruhig mal fragen, ob diese OCD-artige Reflexion überhaupt noch nützlich ist. Anstelle dessen könnten wir doch einfach mal machen: ausprobieren, sich anstecken, falsch liegen. Die Augmented Reality-Researchprojekte, die Michael Ronen und Björn Lengers zwischen den einzelnen Panels vorstellten, gaben da bereits spannende Impulse.
In mindestens drei unterschiedlichen Panels auf der „Theater und Netz“ haben aber Männer amüsiert Anekdoten erzählt, wie sie sich bei jungen Leuten ja immer nur mit der Rückseite eines Tablets oder Telefons konfrontiert sähen. Im gleichen Atemzug wird aber versichert, dass man da ja ganz offen sei, für so Neues. Lasst halt noch mal reden. Darf’s noch ein Panel sein? Dramaturg Matthias Lilienthal, zukünftiger Intendant der Münchner Kammerspiele, war einer derjenigen, die sich in einer Nebenbemerkung auf die Seite der charmanten, luddistischen Apologetik schlugen, die sich meistens wie folgt äußert: „Ich versteh’ das ja nicht so ganz.” Oder „Ihr könnt das ja alles viel besser.” Die Verantwortung, das dann zu ändern, wird damit ganz elegant aus der Hand gegeben. Stattdessen diskutieren alle über das, was man versteht: Streaming, zum Beispiel.
Beim Konsumieren von Theater via Stream sind wir anscheinend gerade wieder bei dem Stand, dass nicht alles gestreamt werden muss. Wenn aber nicht an einer flächendeckenden Streamingmöglichkeit gearbeitet wird, sondern nur wichtige Hauptstadtproduktionen mobil zugänglich gemacht werden, dann bilden wir die Probleme, die es sowieso schon gibt, zum Beispiel die Unsichtbarmachung des Provinztheaters, auch noch in der „digitalen Theatervision” (so der Untertitel eines der Mainpanels) für Kultur nach. Ein spannender Impuls vom Wochenende war da die Idee von digitalen Dramaturg*innen, die an den Häusern zum Beispiel lokale Partikularitäten auf nationaler Ebene sichtbar und verständlich machen könnten. Wenn man dann noch sicher stellt, dass diese nicht in den Marketingabteilungen der jeweiligen Stadttheater eingesperrt werden, wäre das ein Schritt in die richtige Richtung, um digitale Hürden abzubauen und gleichzeitig den Zugang zu Theater zu erleichtern.
Man darf nicht verkennen, dass Streaming durchaus die Kraft hat, als ästhetisches Mittel zu wirken. Als Stilmittel haben wir das schon hundertfach gesehen und manch einer findet es relative öde, wenn Kameras auf der Bühne live auf Leinwände projizieren. Streaming kann aber auch genutzt werden, um eingefahrene Partizipations- und Präsentationsmuster aufzubrechen und zwar als künstlerischer Selbstzweck und nicht zur bloßen Dokumentation.
Damit kann in Zukunft kräftig gerüttelt werden an einem eingeschränkten Theaterbegriff, der sich über Kopräsenz, also eine räumliche Nähe von Spielern und Zuschauern definiert. Theatertreffen-Jurorin Barbara Burckhardt erklärte in einer Stellungnahme für unser Blog, dass in diesem Jahr Arbeiten aufgrund von fehlender Kopräsenz des Publikums von der Aufnahme in die Auswahl ausgeschlossen worden seien. Die Herausforderung an Theatermacher ist es deshalb, digitale Mittel zu finden und mit dem Netz (beides ist im Übrigen nicht auswechselbar) neue künstlerische Formen zu erkunden, welche die beiden Sphären zusammendenken.
Theatermacher wie Forced Entertainment aus Großbritannien haben in Arbeiten wie „Speak Bitterness“ längst Streaming und Twitter als elementare Bestandteile aufgenommen. In der sechs-stündigen Dauerperformance haben sich Twitternutzer eingeschaltet und einen eigenen Raum des Austauschs und der Kunsterfahrung geschaffen.
Lyn Gardner von „The Guardian“ schreibt, dass das Twittererlebnis einer Aufführung aus der Ferne das Liveerlebnis nicht ersetzen würde. Allerdings konstituiert es eine ganz anders erlebte Form des Events, in der kommentiert, angemerkt, gedichtet, gelacht und eben auf Theater zugegriffen werden kann – so ganz ohne Hürde.
Kurz zurück zu den Berliner Machern. Es sah dann am Wochenende auch so aus, als wenn Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner (komplett mit Anekdotenschmunzeln) ganz und gar in Mach-Stimmung war. So ganz beiläufig wurde da ein call for ideas für die Digitalisierung der Berliner Kulturlandschaft bekanntgegeben, der in weniger als zwei Wochen Deadline hat. Nach großen Digitalisierungsinitiativen wird gefragt, die die Teilhabe an Kultur erleichtern sollen. Kuratierte Plattformen wie The Space können da als Vorbild dienen, denn sie erlauben Theatermachern, bildenden Künstlern und Akademikern, ihre Arbeit auf innovative Weise mit neuen Technologien zu verschränken.
Es sei nun dahin gestellt, ob es fragwürdig ist, Künstler und Institutionen auf eine solche Weise in die strategische Theaterpolitik einzuspannen oder ob Hilfen nicht viel weniger zweckbezogen zur Verfügung gestellt werden sollten. Der Brückenschlag zwischen unterschiedlichen Nutzgewohnheiten kann wohl kaum mit einer exzellenzinitiativartigen Leuchtturmförderung geleistet werden. Vor allem dann nicht, wenn die zu fördernden Projekte nicht auf einem systematischen Level für alle Nutzer funktionieren. Also auch für jene, die das Smartphone noch nicht als Verlängerung ihres Selbst als politischem Menschen verstehen.
Ignoranz überwinden – das geht ganz praktisch und vor allem ganz ohne großes Abquälen. Das #TN16 Buchungsformular für den praktischen Workshop „Hashtags für Künstlerische Leiter und Kuratoren und ihre Relevanz in aktivistischen Performances” gibt’s dann bestimmt bald hier in den Kommentaren (auch zum Ausdrucken). Kann ja mal einer machen.