Es ging los: Michael Thalheimers „Medea“ eröffnete gestern das 50. Theatertreffen in Berlin, Haus der Berliner Festspiele, Wilmersdorf. Glanz! Glamour! Prominenz! Unsere Kolumnistin, also ich, mischte sich unter das Premierenpublikum: Keine Angst vor den Niederungen des Boulevardjournalismus! Ihre partielle Gesichtsamnesie soll dem Anspruch, so viele prominente Gesichter wie möglich auszumachen, nicht im Wege stehen. Die teilnehmende Beobachterin wächst mit ihren Aufgaben!
– Während der Begrüßung durch Thomas Oberender, Leiter der Berliner Festspiele, und Kulturstaatsminister Bernd Neumann machen die namentlich nicht gesondert aufgeführten Gäste, also wir alle, durch ein theatertypisches Hustkonzert auf sich aufmerksam (Sommergrippe?).
– Bei der feierlichen Übergabe des Theater- was? -Spiegels? -Stempels? bewahrt der Preisträger Michael Thalheimer Haltung. Selten nippte jemand so non-chalant am Weißweinglas und umschiffte gleichzeitig das heikle Thema der konkreten Anwendbarkeit des Dings („was auch immer“) in seinen Händen. Der Preis, das unbekannte Wesen? O-Ton Thalheimer: „Ich kann jetzt stempeln gehen. Bald werde ich fünfzig.“
– Mehrheitlich umgehen die Gäste die Kleiderfrage durche dezente Ignoranz. Was die Herren betrifft, bleibt lediglich Jürgen Trittins schwarzer Samt- oder Cordanzug (aus der Distanz nicht klar zu erkennen) im Gedächtnis. Bravo! Dabei hält er eigener Aussage zufolge Mode für etwas sehr, sehr Triviales.
– … und auch gegen das geschmackvolle Kleid der Festivalleiterin hat die Fashionpolizei nichts einzuwenden. Yvonne Büdenhölzer auf die Frage, welcher Designer hier Hand anlegte: „Michalsky. Keine Leihgabe.“
– Eine wenn nicht laue, so doch milde Frühsommernacht treibt nicht nur die rauchenden Gäste in den Festspielhausgarten. Welches Accessoire zum Hollywoodschaukel-Look? Als Geheimtipp erweist sich die Idee mit dem Post-It, Aufschrift „Suche Karte“ , einfach anzubringen am Brillenbügel. So kommt zusammen, was aus modischer Hinsicht nicht zusammen gehört: Ästhetizität und Praktikabilität.
– Immer wichtig: Die Frage nach dem leiblichen Wohl. Ernst ist die Kunst (dies gilt insbesondere für „Medea“, diesen großen, schweren, bewegenden Abend!), heiter ist das Hinterher. Entsprechend lang schlängeln sich die Schlangen vor den Buffets. Jedoch: Es herrscht ein ausgeklügeltes Zwei-Klassen-System. Wenn jeder zur Premierenparty kommen darf, muss die Hierarchie anders greifen. Hier die Besucher, die sich im Besitz eines Essenbons wähnen, dort diejenigen ohne. Die Üppigkeit des Tellers verrät dabei mehr über seinen Träger, als diesem lieb ist. Wohin bloß mit dem Schälchen fürs Dessert? Es gibt: Nudelsalat mit getrockneten Tomaten, Kichererbsensalat, Kartoffelgratin, gefüllte Paprika (nur für Vegetarier!), Erdbeertiramisu. Eine Vitrine weiter locken Kartoffelsalat und Buletten als Parodie auf die Bodenständigkeit. Ein Teilnehmer des Internationalen Forums spottet: „Einmal nichts, bitte.“
– Wer sechs (kleiner Teller) oder neun (großer Teller) Euro für zu viel des Guten für ein Premierenbuffet hält, wendet sich an den galant gekleideten Herrn in Türkis. Sein Bauchladen enthält: Origami, Gummiaugen, Aspirin, Fishermen’s Friend. Auf Nachfrage verrät er: Süßes und Spielzeug gehen am Besten.
– Das Theatertreffen ist ja auch immer ein Get-to-gether des Who is who. Alle haben sich gern oder tun zumindest so: Lars Eidinger (mit Strickmütze) im Gespräch mit Schaubühnen-Intendant Thomas Ostermeier, der Autor Moritz Rinke neben der Schauspielerin Judith Rosmair, dazwischen wuselt n Nachwuchsautor Wolfram Lotz und der Schauspieler Niels Bormann (hier im TTtv zu sehen). Für politischen Glanz sorgt Gesine Schwan. Für die musikalische Begleitung DJ Tinko.
– Alles in allem, so ein Kollege, der unerkannt bleiben möchte, habe er hier das Gefühl, einem 60er-Jahre-Stehempfang beizuwohnen. Gediegenheit schlägt Exzentrik und das ist keineswegs so uncharmant gemeint, wie es vielleicht klingt. Kein Sex, keine Brez’n, dafür Cocktails aus frischen Blüten (Holunder, Hibiscus, Lavendel, Rose, Veilchen) in stimmungsvoller Kulisse, auf Wunsch mit Alkohol. Wir gehen es langsam an.