Uwe Gössel leitet seit vier Jahren das Internationale Forum der tt Talente des Berliner Theatertreffens. Wir haben ihn um einen Gastbeitrag gebeten und gefragt, was Internationalität für seine Teilnehmer bedeutet.
New York, Paris, Tokio. Das Internationale wird gefeiert. In der Wirtschaft, der Politik und in der Kultur. Die Globalisierung schlägt sich auch in den Lebensläufen der Theatermacher nieder, die sich jedes Jahr für die Teilnahme am Internationalen Forum bewerben. Drei und mehr verschiedene Länder im CV zu haben, war vor zehn Jahren noch exotisch. Heute wundert man sich nicht mehr, wenn ein Franzose in England studiert hat, in Deutschland gearbeitet hat und nun in Lettland ein Kulturprojekt leitet. Mit Überschwang wird das häufig in der Bewerbung als Leistung herausgestellt und als Indiz für Erfolg beansprucht.
Spätestens, wenn aus den Bewerbern Teilnehmer werden, verändert sich der Blick auf das Internationale. In den Diskussionen beim Forum in Berlin wird von der Heimat erzählt, um Identitäten gerungen und der eigene Platz in der Gesellschaft und in der Kunst gesucht. Dann tauchen plötzlich Fragen auf: Worauf kann ich mich in einem Land einlassen, wenn ich vielleicht bald wieder weg bin? Soll ich überhaupt weg gehen? Soll ich woanders hin? Wohin soll ich gehen? Wer geht mit? Ist schon jemand dort? Wo sind die anderen? Gehöre ich dazu? Warum nicht? Wohin gehöre ich eigentlich? Bin ich damit allein? Kann ich allein eine Familie gründen? Wo sind meine Kinder? Sind die Fragen, die ich mir stelle auch die Fragen, die mein Publikum hat? Nein? Für wen mache ich dann Theater? Für Sie? Wer sind sie? Was interessiert mich an ihnen?
Ein Kulturanthroprologe meinte kürzlich, dass Kulturleute – und damit auch die Theatermacher – die Lebens- und Arbeitsverhältnisse, die in der Zukunft für die meisten gültig sein werden, vorweg nehmen. Aber vielleicht hängen sie auch hinterher. Denn in Polen lebt man beispielsweise bereits heute eine eigene Form des FamilienJetSets: Die Eltern arbeiten unter der Woche in Irland oder Frankreich, die Kinder bleiben allein zu Hause. Man nennt sie inzwischen Europawaisen. Und ihre Eltern gehören zum EasyJetSet. Werden diese Kinder Internationalität später auch als Wert an sich ansehen? Werden sie sich im Jahr 2020 für das Internationale Forum bewerben?