Willkommen in der Banalenrepublik

Regisseur Stefan Pucher und Schriftsteller Dietmar Dath übertragen Ibsens „Volksfeind“ ins Zeitalter von Google und Crowdfunding. Unser Autor erlebte allerdings einen mittelschweren Serverabsturz.

Supersuper-Mittwoch beim Theatertreffen: Gleich zwei Premieren parallel – hat es das schonmal gegeben? Im fernen Volksbühnen-Osten durfte man sich mit Herbert Fritsch in „der die mann“ einen Karl machen. Wer hingegen im Haus der Berliner Festspiele blieb, erlebte Stefan Puchers Versuch, Ibsens „Volksfeind“ in die Gegenwart digitaler Mediendemokratie zu verpflanzen. Unser Autor verrät, ob er den blauen Like-Daumen heben konnte.

„Ja – und ich denke, als Bloggerin verfehle ich meine Verantwortung, wenn ich eine gute Gelegenheit ungenutzt lasse, diese Heuchler vorzuführen.“ Sagt Hovstad zu ihrem Assistenten Billing über das „Märchen der Unfehlbarkeit dieser Nachhaltigkeitskleinbürger“, und ich muss sagen, ja, das finde ich auch, und sage es jetzt zu euch. Über das Märchen der Unfehlbarkeit einer „Volksfeind“-Inszenierung heutzutage. Die könnte einfacher nicht sein, weil Ibsens Stück so modern ist, dass man eigentlich gar nichts zu tun braucht. Die so genannte Aktualität dieses Stücks ist so evident, dass es 2012 gleich zu einer Doppelpremiere in der Berliner Bühnenlandschaft kam, an der Schaubühne und am Maxim Gorki Theater. Die Geschichte über den Kurarzt Tomas Stockmann sagt so viel über unsere Gegenwart. Der idealistische Arzt findet heraus, dass das Kurbad der kleinen Stadt verseucht ist und möchte dies in der lokalen Zeitung veröffentlichen, bevor es zu Krankheitsfällen kommt. Sein Bruder Peter, Lokalpolitiker, ist dagegen, betont die enormen Kosten und den Ruf der Stadt. Auch die Presse, zuerst noch auf seiner Seite, wendet sich gegen ihn, und es kommt zum großen Finale, einer Bürgerversammlung, auf der Stockmann sich zu einer Wutrede gegen das Volk hinreißen lässt, gegen die Diktatur der Mehrheit schimpft, gegen die Demokratie, gegen die Dummheit des einfachen Volkes. Er wird aus der Stadt gejagt, das dumme Volk bleibt unter sich.

Alles ein bisschen ist zu wenig

Viel kann man erzählen mit einer Inszenierung dieses Stücks. Über die Rolle der Medien in den Prozessen der öffentlichen Meinungsbildung. Über die symbiotischen Beziehungen zwischen Politik und Presse. Über den Drang, alles transparent zu machen und dabei zu übersehen, dass, was durchsichtig ist, nicht mehr wahrgenommen werden kann. Über den stetig wachsenden Ruf nach direkter Demokratie und die Angst der Mächtigen vor den Ressentiment-geladenen Entscheidungen ihres eigenen Volkes. Und noch viel mehr. Und all das tut die Zürcher Inszenierung von Stefan Pucher natürlich auch, nur eben nicht entschlossen genug, sondern völlig halbherzig dem Zeitgeist hinterher hechelnd. Die Bearbeitung des Textes wurde vom Schriftsteller Dietmar Dath besorgt, was die Erwartung enorm steigerte. Denn wer die fantastischen Filmkritiken in der FAZ kennt, weiß, welche Gedankenspiralen Dath vollführen kann, ohne dabei seine Leser zu verlieren. Umso erstaunlicher, dass hier alles recht plump bleibt.
Ein paar Witze über komische Blogger, die viele Anglizismen benutzen („Ich geh mal an meine Workstation“). Auf welche Reaktion wird hier gezielt? Vielleicht: Haha, diese flippigen jungen Blogger, köstlich, nicht wahr, Klaus?
Ein bisschen angepopt, hauptsächlich durch die Sängerin Becky Lee Walters, die mehrmals auf die Bühne kommt und elektrisch-eklektische Töne produziert und dazu (zugegeben: extrem gut) robotermäßig durch die Bühne tanzt.
Ein bisschen Großstadthippness, angezeigt durch die zwei Rennräder, mit denen die Brüder Stockmann auf der Stelle um die Wette fahren.
Ein bisschen aktuelle Politik, indem man aus dem Off die „Volksfeind“-Rufe des Pöbels hört, die stark an die „Volksverräter“-Rufe klingen, die in Sachsen Angela Merkel ins Gesicht geschrien wurden.

Warum seid ihr euch selbst egal?

Aber es gibt keinen roten Faden. Nichts davon ist zwingend. Der Auftritt der Sängerin könnte ebenso gut nicht stattfinden. Die beiden Söhne von Stockmann, Eilif und Morten, wurden in der Schaubühnen-Version zum Beispiel rausgenommen. Hier sind sie wieder dabei. Was auch gut ist, denn in Ibsens Stück spielen sie eine große Rolle, verkörpern die Zukunft, das Neue, für das es sich zu kämpfen lohnt. Aber wenn man diese Entscheidung trifft, muss man auch was draus machen. Hier wird nichts draus gemacht, die Kinder tun einem fast leid, wie sie da auf der Bühne stiefväterlich alleingelassen werden. Und vor allem: Warum hat man das Gefühl, das grüne Zeug aus dem Wasserspender, das die Schauspier alle trinken und wohl so was wie einen coolen fancy Blogger-Softdrink darstellen soll, wurde mit Valium versetzt? Warum haben die Schauspieler offensichtlich die Anweisung erhalten, so zu spielen, als wäre ihnen alles scheißegal, als ginge sie das alles nichts an? Woher diese Arroganz? Findet ihr euch eigentlich selbst interessant? Alles vollkommen leblos.

Auch das Bühnenbild. Der Boden ist mit einem grauen Teppich belegt, der alle Geräusche schluckt. Die Spieler tragen weiße Turnschuhe (ich sag jetzt mal, für die jungen, bloggenden Großstadtleser: Sneaker), die ohnehin keinen Laut verursachen. Die Farben sind meist in Pastelltönen gehalten. Eine sehr leise und sehr hässliche Welt wird gezeigt, eine Kammer der Stille in der alles vermittelt ist. Oft wird mittels Handykammera und Leinwandprojektion miteinander kommuniziert.

Es ist alles so einfach

Nichts davon erklärt sich aus der Inszenierung. Und es kommt der Verdacht auf, dass es, unter Umständen, womöglich, ganz vielleicht, doch kohärent ist. Dass da doch ein Prinzip dahintersteckt. Ein ganz furchtbar banales. Dass hier einfach der Smombie dargestellt wird. Der Internet-Zombie, unfähig zu echten Gefühlen, zu echten Interaktionen, zu echten, unmittelbaren Ausbrüchen. Dann allerdings wäre diese Aufführung nicht nur langweilig, sondern eine Frechheit. Es wäre eine große Heuchelei. Angebliche Relevanz bei tatsächlicher Nullaussage, vorgetäuschte Vielschichtigkeit bei wirklicher Banalität. Es ist diese falsche Vorstellung von „Aktualisierung“, die so wütend macht. Es reicht nicht, dreimal Internet in einen Text zu schreiben und sich dann die Hände waschen zu gehen. Dath, der Achterbahnfahrer in den Gehirnen seiner Leser, trifft auf den „Volksfeind“, den Sezierer der politischen Öffentlichkeit. Sie versprachen, zu einem großen Endgegner zusammenzuwachsen, an dem man sich abarbeitet, neu starten muss, wieder anfangen, ein paar Punkte gewinnen, ein paar verlieren, bis beide völlig erschöpft zu Boden sinken und sich auf Gleichstand einigen. Nichts da. Nicht mal Game Over. Man will einfach ausschalten. Vor allem als arroganter Blogger.

 

Ein Volksfeind
Von Henrik Ibsen (in einer Bearbeitung von Dietmar Dath)
basierend auf der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Stefan Pucher, Bühne: Barbara Ehnes, Kostüme: Annabelle Witt, musikalische Leitung: Christopher Uhe, Viedeo: Ute Schall, Licht: Frank Bittermann, Dramaturgie: Andreas Karlaganis
Mit: Markus Scheumann, Isabelle Menke, Sofia Elena Borsani, Timur Blum, Sinan Blum, Robert Hunger-Bühler, Siggi Schwientek, Tabea Bettin, Nicolas Rosat, Matthias Neukirch, Becky Lee Walters, Ute Schall
Premiere: 10. September 2015 in Pfauen
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

http://www.schauspielhaus.ch

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Xaver von Cranach

Studiert Literaturwissenschaft. Er schreibt u.a. für das Literaturkritik-Blog tausendmrd und Spike Art Magazine

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