Die Premierenkritik: Von Pollesch bekehrt

Unvoreingenommen in einen „Pollesch“ zu gehen, ist für mich ein Ding der Unmöglichkeit: Zu oft saß ich schon in einem seiner Stücke und fühlte mich allein gelassen. René Pollesch bringt gemeinsam mit den immergleichen Schauspielern die Probenwitzchen der letzten sechs Wochen, gemischt mit seinen aktuellen Lieblingsbüchern von Agamben und Konsorten, auf die Bühne. Das Publikum bleibt dabei außen vor – Theater als Insiderei. So zumindest meine Einschätzung.
Gestern abend ging ich also skeptisch in die Premiere von „Kill your Darlings! Streets of Berladelphia“ in die Volksbühne. Und wurde bekehrt.
Pollesch schafft es, anhand der Gretchenfrage unserer Zeit „Wie hältst du´s denn mit Facebook?“ die Themen Kapitalismus, Liebe, Kollektivität und Beziehungen miteinander zu verknüpfen. Und das auf nachvollziehbare Weise – was für mich eine ganz neue Erfahrung war.

Den Unterschied macht Pollesch. Grafik: Paul Sturminger und Magdalena Hiller


Dass dieses, wie immer textüberfrachtete Experiment auch gelang, ist zu einem großen Teil dem Ausnahmeschauspieler Fabian Hinrichs zu verdanken. Er führt einen sicher und bestimmt durch das Text-Dickicht, gibt einem aber durch gelegentliche Ausbrüche seines Bühnen-Ichs zu verstehen, dass ihm auch selber nicht immer ganz klar ist, worum es ganz genau geht. Besonders oft passieren diese Brüche in Kombination mit dem fünfzehnköpfigen „Chor“ aus jungen Turnern und Turnerinnen, der Hinrichs schweigsamen Gegenpart bildet. Oder durch ein Handyklingeln aus dem Publikum, das er gleich paraphrasiert: „Worum es geht? Ähm, erzähl ich dir später.“
Hinrichs ist auf der Flucht vor dem Netzwerk, laut Pollesch der kapitalistischen Version des Kollektivs, welches von eben jener Gruppe junger Menschen verkörpert wird. Das ist erstmal wahnsinnig komisch („Nein, ich gehe nicht mit dir ins Bett, du bist ein Netzwerk!“), und nicht zu vergessen: sehr schön anzusehen.
In einer Szene zieht Fabian Hinrichs beispielsweise wie Mutter Courage einen Karren über die Drehbühne, während die Akrobaten im Regen zu einem Song von Morrissey durchs Wasser schlittern. Diese Szene könnte man auch mit dem Aufhänger des Abends überschreiben: „Warum machen wir das? – Die Antwort haben wir rausgestrichen.“ Und doch bewundert man in genau diesem Moment den Mut zum Pathos, den Pollesch hier beweist und somit zeigt, dass der Unterschied zwischen „Mehrzweckhalle und Mehrwert“ eben manchmal nur eine Frage der Beleuchtung ist.

–––

Magdalena Hiller

www.viertewand.at

Magdalena Hiller, geboren 1989 in Wien, studiert Wirtschaftsrecht – hat aber privat eher wenig mit der Juristerei zu tun. Vielmehr ist ihre Hauptbeschäftigung der exzessive Besuch von Theater- und Opernvorführungen aller Art. Nach Hospitanzen und Assistenzen am Schauspielhaus Wien und Büroarbeit der interessanteren Sorte bei den Salzburger Festspielen, gründete sie 2011 ihren Kulturblog „Vierte Wand", der die Wiener Theaterszene ergründet.

Alle Artikel