„Dann ist man ein mega Nestbeschmutzer“

Beim TT 2009 wurde sein erstes Stück ausgezeichnet, heute ist Nis-Momme Stockmann ein etablierter Autor. Mit der Blog-Redaktion redet er über seine Sicht auf Kritik und die Produktions-Bedingungen am Theater

TT-Blog: Hand aufs Herz, liest du Kritiken?

Nis-Momme Stockmann: Es gibt drei Fraktionen unter Theaterleuten: Die einen sagen, sie lesen sie nicht, tun es aber. Die anderen sagen, sie lesen sie nicht, und lesen sie wirklich nicht. Das sind die wenigsten. Ich gehöre zu denjenigen, die Kritiken lesen und kein Problem damit haben. Ich bin schon viel rezensiert worden, dann hört es auf, so weh zu tun.

TT-Blog: Das war mal anders?

Nis-Momme Stockmann: Bei Verrissen ärgere ich mich nicht mehr so wie früher. Ärgern ist auch das falsche Wort – vielen von uns geht es sehr nah. Vor der Kritik zu versagen, ist hart. Das ist ja unser Sprachrohr nach draußen zu den Leuten. Ich stamme aus einer Zeit, wo es noch die Großkritiker gab. Gerhard Stadelmaier von der FAZ zum Beispiel – als ich anfing zu schreiben, war er DIE Instanz. Also wirklich dieser Ratatouille-Kritiker, der im Rollkragenpulli kommt und sich reinsetzt; und man hat immense Angst vor dem. Wenn er dich geliebt hat, war alles super. Wenn er dich gehasst hat, war das eine unglaubliche Bestrafung.  

TT-Blog: Dann war in deinem Fall ja alles super…

Nis-Momme Stockmann: Damit hat ja niemand gerechnet, dass er ausgerechnet meine Stücke mag. So sind Kritiker halt, man steckt nicht drin. Aber diese Art der Kritik ist ja gar nicht mehr zeitgemäß, die gibt es auch Gott sei Dank immer weniger. Letztendlich sitzen wir alle auf einem Ast, der gerade abgesägt wird. Wir sind mehr oder weniger im selben Team. Oder zumindest glaube ich, dass das die moderne Auffassung ist.  

TT-Blog: Bevor wir dazu kommen, was eine moderne Auffassung von Kritik ist: Wie verortest du dich im Theaterbereich? Endet deine Arbeit beim Verlag oder bist du als Autor auch Teil der Produktion?

Nis-Momme Stockmann: Es kommt darauf an, ob man mit den Leuten aus der Produktion einen guten Draht hat. Bei Uraufführungen wird man integriert, um mit auf die Arbeit zu schauen, weil es sonst zu rechtlichen Querelen kommen kann. Wenn du nicht zufrieden mit einer Uraufführung bist, kannst du sagen: ich möchte nicht, dass es zur Aufführung kommt. Da gelten verschiedene rechtliche Parameter. Es ist nicht erlaubt, zu viel Text zu streichen oder umzustellen. Aber solche juristischen Sachen kommen erst zum Tragen, wenn man sich verkracht.

TT-Blog: War das bei dir schon mal der Fall?  

Nis-Momme Stockmann: Zwei Mal. Und es war beide Male wie ein fieser Beziehungsstreit. Es fühlt sich wirklich unglaublich schlecht an. Es kam zwar jeweils zur Uraufführung, aber im einen Fall mit anderer Regie und im anderen Fall, ohne dass ich zur Premiere gekommen bin.

© Vincent Koch

TT-Blog: Wie sehen solche Konflikte aus? 

Nis-Momme Stockmann: Bei einer Produktion hat mir die Dramaturgin eine Fassung geschickt, die über die Hälfte kürzer als meine ursprüngliche war. Maximal juristisch erlaubt sind etwa 30 % bei Uraufführungen. Ich habe um ein Telefonat mit dem Intendanten gebeten und gesagt, dass ich das zu krass finde und gerne hätte, dass wir uns einigen. Er meinte, ich soll den Regisseur mal machen lassen. Ich kenne den aber schon lange: Der geht mit der Machete da durch. Weil ich dann gesagt habe, wenn wir nicht darüber sprechen können, wäre es mir lieb, wenn der Verlag das klären könnte, war Tür und Tor für eine handfeste Krise geöffnet. Wir haben es dann geschafft, gemeinsam im Sinne des Abends zu denken.

TT-Blog: Gibt es konkrete Vorgaben, wenn Du einen Text für ein Theater schreibst?

Nis-Momme Stockmann: Ich schreibe sehr lange Texte. Aber die Geduld am Theater wird immer geringer, wie überall in der Gesellschaft. Castorf-Abende, die sieben Stunden gehen, gelten als Kassengift. Mittlerweile kommuniziert die Dramaturgie einem das auch klar. Zum Beispiel jetzt in Karlsruhe habe ich was geschrieben, da haben sie gesagt: auf keinen Fall länger als 120 Seiten, weil dann fahren am Abend keine Bahnen mehr, und die Leute kommen nicht nach Hause. Mit solchen Sachzwängen hat man zu tun.

TT-Blog: Und inhaltlich?

Nis-Momme Stockmann: Viele wollen ein politisches Stück, aber keins, das zu sehr dies meint oder das. Oder alle wollen ein lustiges Stück über den Kapitalismus, wo Banker durch den Schmutz gezogen werden. Aber niemand möchte ein Stück, wo Leute schlecht über das Theater sprechen. Über Intendanten, die verrückte Unsummen an Geld bekommen – kein Mensch weiß warum, weil wir ja alle irgendwie am Hungertuch nagen. Aber darüber zu sprechen im Theaterstück? Dann ist man ein mega Nestbeschmutzer.

TT-Blog: Theater, Kritiken, es gibt verschiedene Resonanzquellen für deine Arbeit. Denkst du beim Schreiben an ein Publikum?

Nis-Momme Stockmann: Beim Schreiben selbst nicht. Aber wenn ich einen lustigen Text schreibe und hinterher Leute lachen höre, dann freue ich mich. Oder ich merke, alle werden ganz still, dann ist es meistens spannend. Mir ist das nicht egal. Der Hauptgrund, ins Theater zu gehen, ist, weil man unterhalten werden möchte. Das kann auf viele Arten passieren. Intellektuell oder emotional, im besten Fall alles zusammen. Man geht nicht hin, um sich zu informieren. Selbst bei Milo Rau oder anderen Dokumentartheater-Abenden geht es in erster Linie darum, berührt zu werden. Sonst kann man ja viel besser ein Buch darüber lesen.

TT-Blog: Findest du es schwer, bei all den Ansprüchen deine Position zu bewahren?

Nis-Momme Stockmann: Das ist nicht so leicht. Ich bin schon eher ein Mensch vom Typus: Kopf durch die Wand. Dann sind es eben 480 Seiten, dann machen wir halt einen achtstündigen Abend! Da müsst ihr dann mit klarkommen, dann engagiert mich nicht mehr in Zukunft. Das war am Anfang eine riesige Herausforderung. Mittlerweile ist es so, dass mich diese Dinge nicht mehr so beschäftigen.

© Vincent Koch

TT-Blog: Zurück zur Kritik. Was macht eine gelungene Kritik aus?

Nis-Momme Stockmann: Sie sollte Interesse wecken, ein gutes Bild des Abends vermitteln. Ich bemängele, dass es oft keine Richtlinien gibt, die festlegen: Nach welchen Kriterien wollen wir urteilen? Dazu gehören auch pragmatische Dinge, wie: ich schlafe eine Nacht darüber. Oder: ich schreibe nicht, wenn ich besoffen bin. Viele gehen mit fünf Weißwein im Kopf nach Hause, hacken wütend etwas in die Tasten und denken, sie tun der Kunst damit einen Gefallen.

TT-Blog: Was täte der Kunst einen Gefallen?

Nis-Momme Stockmann: Genau und mit dem Herz am rechten Fleck schauen. Eine Meinung äußern, wie man den Abend gefunden hat und gleichzeitig nach rekonstruierbaren Kriterien urteilen. Wenn dir ein Text oder Abend nicht gefällt, ist das in Ordnung. Ich gehe auch oft ins Theater und denke: Das war ja total kacke oder langweilig. Kritiken sollten über diese Enttäuschung aber nicht ungerecht werden gegenüber den Akteurinnen und der Kunst im Ganzen.

TT-Blog: Was heißt ungerecht?

Nis-Momme Stockmann: Du bist eine Person von vielen, die eine Meinung zur Inszenierung haben, aber deine Meinung ist öffentlich. Sie kann dazu beitragen, dass niemand mehr kommt. In manchen, kleineren Städten ist die Kritik sehr wichtig, Heidelberg zum Beispiel. Wenn da jemand schreibt, das ist schlecht, dann kommen die Leute einfach nicht mehr. Da hast du eine riesige Verantwortung. Es hat mir nicht gefallen, ist dann nicht ausreichend. Es braucht eine reife und sachliche Darlegung, welche Aspekte daran dir nicht gefallen haben. Und man kann trotzdem dazu anregen, sich selbst ein Bild zu machen. Weil in den meisten Abenden steckt sehr viel Herzblut.

TT-Blog: Hast du ein Beispiel?

Nis-Momme Stockmann: Castorf kann man sich angucken. Da gibt es kaum einen Abend, der nicht irgendwo ein bisschen schlecht ist. Also die sind zwar gut, aber sie sind auch sehr schlecht in vielen Aspekten. Trotzdem muss man hin und es mal gesehen haben, und trotzdem ist es kein Abend, der sich einfach über diesen Kamm scheren lässt: gut oder schlecht? Diese binäre Art zu denken, wird der Sache nicht gerecht. Oft geht man ins Theater und denkt: wow, was für ein Abend! Großartige Kostüme, tolles Bühnenbild, gutes Schauspiel. Lars Eidinger war großartig als König blablabla. Dann geht man nach Hause und hat das Ding vergessen. Dann gibt es Abende, die einen nicht loslassen. Die sind spröde und teilweise auch schlecht.

TT-Blog: Erinnerst du denn auch Kritiken, die du gelungen findest?

Nis-Momme Stockmann: Ich habe mich bei den letzten Kritiken gefreut. Ein paar haben gesagt, es war einfach super lustig. Dann gibt es ja meistens diese Fußnote: ABER was will uns dieser Abend eigentlich sagen? Das war aber nicht der Fall. Das hat mich gefreut, dass da jemand Berührbarkeit bewiesen hat. Das ist für mich das hauptsächliche Kriterium, dass sich jemand berührt zeigt. Natürlich kann man auch negativ oder unangenehm berührt sein.

TT-Blog: Und was geht gar nicht?

Nis-Momme Stockmann: Ich finde am schlimmsten, wenn man das Gefühl hat, da ist jemand nicht ausreichend informiert. Du liest aus der Kritik heraus, dass da Fehler passiert sind, nur weil jemand den Text nicht richtig gelesen hat, oder unaufmerksam war. Ich würde am liebsten anrufen und um Richtigstellung bitten. Bei meiner letzten Produktion in Stuttgart war bei drei Kritiken eine Sache faktisch nicht richtig. Oft liegt es an der mangelnden Differenzierung zwischen Spielfassung und Verlagsfassung. Entweder, weil sie den Unterschied in ihrer 20-jährigen Karriere tatsächlich noch nicht erfahren haben, oder weil sie einfach zu faul sind, die lange Fassung zu lesen, was definitiv auch vorkommt. Sowas ärgert mich. Das hat mit Berufsstolz überhaupt nichts zu tun, das finde ich einfach nur: schlecht.

Nis-Momme Stockmann wurde 1981 auf Föhr geboren. Nach einer Ausbildung zum Koch studierte er an der Universität der Künste Berlin „Szenisches Schreiben“. Von 2009 bis 2012 war er Hausautor am Schauspiel Frankfurt. Er verfasst Dramen, Hörspiele, Lyrik und Prosa. Für das Theater schreibt Stockmann seit 2009. Sein zuletzt aufgeführtes Stück ist die Theatersatire „Das Portal“ (UA: 19.1.24) am Schauspiel Stuttgart in der Regie von Herbert Fritsch.

Transkript: Leo Haverkamp

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Leonard Haverkamp

Vielleicht liegt es am Salzkräcker, vielleicht bleibt Leonard Haverkamp aber auch die Spucke weg, weil jetzt die ganz große Bühne kommt. Und dennoch freut er sich auf die Rückkehr nach Berlin, das er im Herbst 2023 verlassen hat, um auf Zürich zu gehen (wie man in der Schweiz sagt). Hier studiert er Kulturpublizistik an der Züricher Hochschule der Künste und schreibt als freier Autor für verschiedene Medien. Kritiker ist er so lange wie Theaterbesucher, professionalisiert hat sich das in den letzten Jahren im Schreiben für Nachtkritik und das akut Magazin. Kritik ist Leonard wichtig, denn sie geht in die Interaktion mit dem, woran ihr etwas liegt.

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