Beschreib mich!

Am gestrigen Freitag wurde der Stückemarkt eröffnet. Unsere Autorin besuchte die Stuhlkreis-Performance "TRANS-", war beleidigt - und doch überzeugt.

Mit der Performance „TRANS-“ von two-women-machine-show und Jonathan Bonnici (Dänemark) wurde am Freitag der Stückemarkt des Theatertreffens eröffnet. In der diesjährigen, europaweiten Ausschreibung war nach Arbeiten gesucht worden, in denen das Medium Sprache einen zentralen Aspekt darstellt. Darüber hinaus sollte die „politische Dimension des Narrativen“ befragt werden. Erlebte unsere Autorin einen Aufakt nach Maß(gabe)?

Ich trete in einen Raum. Ich sehe einen großen Stuhlkreis. Ich sehe Nebel. Ich werde angewiesen, mich auf einen Stuhl zu setzen. Ich setze mich auf einen Stuhl. Ich warte, bis sich die anderen Zuschauer setzen. Ich sehe vier Performer, die sich in einer engen Kreisformation innerhalb des Stuhlkreises befinden, jedoch nicht in der Mitte. Ich warte auf den Beginn der Performance.
Und dann beginnt sie. Ein Metronom setzt ein, das klingt, als würde eine Rassel geschüttelt werden. Einige Minuten lang ist nichts anderes zu hören als dieser dumpfe Sound. Dann beginnen die vier Performer zu sprechen. Sie beschreiben mit ruhiger Stimme in englischer Sprache, was sie sehen: „There’s a white floor.“ „There’s a green object.“ Die Zeit dehnt sich, verfestigt sich mit jeder langen Pause zwischen den einzelnen Sätzen. Ich beobachte die Performer. Jede Kleinigkeit fällt mir auf – die Kabel der Microports, die Farbe der Schuhe, der Sitz der Hosen. Manchmal wandert mein Blick durch den Raum, der hell ausgeleuchtet ist, sodass ich jeden einzelnen Zuschauer genau erkennen kann. Inzwischen haben sich die Performer langsam gedreht und beschreiben nun das Publikum, während sie sich langsam entlang des Stuhlkreises durch den Raum bewegen: „You blink. You move your foot.“ Zu Beginn sind diese Beschreibungen neutral, nach und nach werden sie persönlicher: „You like the attention.“ „You are bored.“ Manche Zuschauer werden mehrmals und lange beschrieben. Ich nicht, ich werde fast vollständig ignoriert. Ich bin beleidigt. Bin ich so uninteressant, dass ich keine Beschreibung wert bin?

Die Stille dröhnt

Das Licht beginnt langsam zu pulsieren und die Zuschauer werden immer stärker in die Objektrolle gedrängt. Nach wie vor werden sie beschrieben, allerdings nun nicht mehr direkt adressiert: „She has white teeth.“ „His shirt has a stain.“ Irgendwann setzt Musik ein – ich merke es erst, als es erwähnt wird. Die Performer gruppieren sich zu einer linearen Formation und geraten dann in eine spiralförmige, schneller werdende Bewegung. Die Pausen zwischen den einzelnen Beschreibungen werden immer kürzer und verschwinden schließlich, die Aussagen überlappen sich, bis ich nicht mehr feststellen kann, über welche Person gesprochen wird und wer überhaupt spricht. Das Licht pulsiert schneller, die Musik wird lauter, eine Art Crescendo entsteht, die Stimmen lösen sich von den Körpern und kommen nicht mehr von den Performern, sondern vom Band.
Dann steht die Performergruppe still. Das Crescendo verstummt. Die Stille dröhnt in meinen Ohren. Ich warte darauf, dass noch etwas passiert, dass die Gruppe noch einmal sprechen wird. Sie tut es nicht, sondern geht in hellem Saallicht ab. Nach dem Schlussapplaus verlasse ich perplex den Raum.
In „TRANS-“, der Performance der beiden dänischen Choreografinnen und Performerinnen Ida-Elisabeth Larsen und Marie-Louise Stentebjerg (two-women-machine-show) und dem britischen Schauspieler Jonathan Bonnici, soll es um die systemimmanente Gewalt von Sprache gehen, habe ich im Jurystatement und in einem Interview gelesen. Um den im Kapitalismus vorhandenen Drang zur Kategorisierung und damit zur Ausgrenzung. Darum, wie Beschreibungen Welt definieren und damit Welt werden.

Die Gewalt der Sprache

Haben so komplexe Themen Platz in einem eher kleinen Raum, in einem Stuhlkreis von maximal vierzig Personen? Ja, haben sie. Unter anderem. Denn two-women-machine-show und Jonathan Bonnici geben mit „TRANS-“ keine Deutungen vor, sondern schaffen durch die Kargheit des Bühnenbildes und die Entscheidung für den Einsatz nur weniger Mittel – das Metronom, maximal sechs Lichtstimmungen, eine klare Choreografie und die konsequente Weiterführung des Beschreibens als einzige verbale Ausdrucksmöglichkeit der Performer – Raum für die Gedanken der Zuschauer. Und die können, müssen sich aber nicht unbedingt den großen politischen Fragen widmen. Ich zum Beispiel habe über Narzissmus nachgedacht, darüber, dass Nicht-beschrieben-Werden auch eine Erfahrung von Gewalt ist – einer Gewalt, die nicht in der Sprache per se gründet, sondern im Umgang mit ihr. Als die Performer verstummten und die verbale Sprache den Raum verließ, spürte ich ihre plötzliche Abwesenheit wie einen Stich. Die Gewalt der Sprache wurde mir erst bewusst, als sie verschwunden war.
Es verblüfft mich, wie untheoretisch diese Lesart rein aus dem Moment heraus entstanden ist. Und in dieser Unmittelbarkeit liegt die größte Stärke von „TRANS-“. Die Performance schafft eine Konzentration auf die Gegenwart. Sie generiert aus der physischen Anwesenheit der Zuschauer Material, arbeitet mit Reaktionen, lässt keinen Ort für Verstecke. Und schafft dabei alternative Räume – Klangräume, Bewegungsräume, Denkräume, Zeiträume –, die nur im unmittelbaren Erleben zugänglich sind.

TRANS-
von two-women-machine-show und Jonathan Bonnici (Dänemark)
Performance (in engl. Sprache)
Idee und Inszenierung: Jonathan Bonnici, Marie-Louise Stentebjerg
Inszenierung und Dokumentation: Ida-Elisabeth Larsen
Bühne, Kostüme und Licht: Hanna Reidmar
Lichttechnik: Kerstin Weimers
Ton: Santi Rieser
Mit: Emma-Cecilia Ajanki, Jonathan Bonnici, Piet Gitz-Johansen, Robert Logrell
Dauer: ca. 60 Minuten

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Andrea Berger

Andrea Berger, Jahrgang 1983, studiert Dramaturgie in an der Theaterakademie August Everding. Arbeitet als freie Produktionsdramaturgin, schreibt für das Münchner Feuilleton und assistiert beim Münchner Tanz- und Theaterfestival RODEO 2016. Lebt in München und Wien.

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