Ekat Cordes, Autor und Regisseur, nimmt am diesjährigen Stückemarkt mit seinem Stück „Ewig gärt“ teil, das gestern in einer szenischen Lesung vor Publikum präsentiert wurde. Wir sprachen mit ihm über sein Verhältnis zu Horrorfilmen, über Gärungsprozesse und über die Frage, ob und wie Theater den Menschen die Augen öffnen kann.
Kai Krösche: In Ihrem Stück kommen sowohl in Bezug auf stilistische Mittel als auch auf Aspekte der Erzählweise Elemente vor, die man sonst eher aus dem Genrekino, vor allem dem Horrorfilm kennt. Wie kommt es dazu?
Ekat Cordes: Das Horrorgenre hat mich schon seit meiner Kindheit geprägt – meine Mutter hat immer sehr gern Horrorfilme geschaut, weil sie sich dabei aber so fürchtete, musste ich immer mitgucken. Eigentlich hätte ich mir die Augen zuhalten sollen, aber das hab ich natürlich nicht gemacht – und so schau‘ ich eigentlich schon Horrorfilme, seit ich sechs Jahre alt bin. Ich denke, dass kaum ein Genre so starke Möglichkeiten bietet, auf kreative Weise sehr reale, grausame und auf dem Theater im Grunde kaum darstellbare Probleme auf kritische Weise in künstlerisch überhöhte und gleichzeitig beunruhigende Bilder zu übersetzen.
In meinem Stück nutze ich ja auch solche Elemente – vom splatterartig spritzenden Blut über den unheimlichen Keller hin zur Geisterbahn oder einem dem Tod ähnelnden Moderator: Dabei ging es mir aber immer darum, zu einer Sprache und Erzählweise zu finden, die dem Betrachter die Ahnung von etwas eigentlich gar nicht Darstellbarem, viel Schrecklicherem gibt – und durch die Verbindung von Grauen und einer häufig sehr spielerischen Sprache, die dieses Grauen in Worte fasst, entsteht dann auch etwas Unvereinbares, eine Reibung zwischen Form und Inhalt, die ich spannend finde.
Das ist auch, was ich immer wieder versuche, wenn ich schreibe: Stets aufs Neue eine ganz bestimmte, passende Form zu finden für das, was ich erzählen möchte. Das reicht von Musical-Elementen über Slapstick bis hin zu chorischen Formen – das ist jedes Mal eine neue Herausforderung, eine neue Auseinandersetzung.
KK: Christoph Marthalers „Riesenbutzbach“ spielt in einem umfunktionierten Institut für Gärungsgewerbe, in Ihrem Stück stinkt und brodelt es an allen Ecken und Enden unter einer verborgenen Oberfläche: Ist da was Größeres am Gären?
EC: Da gärt ’ne ganze Menge! „Ewig gärt“, das hat für mich die verschiedensten Bedeutungen. Zum einen die zentrale Thematik des Stücks: So lange es Menschen gibt, werden Themen wie Missbrauch, Gewalt und Verdrängung aktuell sein und bleiben. Gären bedeutet dann ja auch, dass etwas noch nicht fertig, in diesem Falle noch nicht aufgeklärt ist, dass da etwas im Verborgenen entsteht, ohne dass man es sehen oder greifen kann. Das ist ja auch im Stück so: Jeder ahnt etwas oder glaubt, irgendwas zu wissen, jeder merkt, dass da was gärt, aber weil das alles nur hinter der Fassade, hinter Gartenzäunen oder verschlossenen Türen stattfindet, weiß niemand wirklich, was er tun soll, ob und wie er sich einschalten soll.
KK: Was mir beim Lesen besonders auffiel, war die sehr eigene Sprache, in der die Figuren in Ihrem Stück untereinander kommunizieren. Viele der wiederholt auftretenden Sprachspiele waren für mich immer auch ein Spiel mit dem Schrecken, ein Herumreden um das Grauen.
EC: Ich fand es einfach unglaublich spannend, zu versuchen, die Sprache immer und immer mehr zu verknappen und zu verdichten, bis an manchen Stellen fast nur noch eben dieses Spiel mit Sprache herrscht und der eigentlich entsetzliche Inhalt beinahe untergeht in diesem ständigen Herumreden um den heißen Brei. Die Figuren sind sprachlos, sie suchen nach einem Ausdruck für das, was sie sehen und hören, finden ihn aber nicht und verlieren sich eben in dieser stilisierten, ablenkenden Sprache. Das geht dann vielleicht am Ende sogar so weit, dass der Zuschauer auf makabre Weise Spaß dabei empfindet, dem Moderator dabei zuzuhören, wie er spielerisch-sprechend die Figuren in den Tod treibt. Da trifft dann diese zum Teil fast lyrische Sprache auf Dinge wie Blut, Splatter, Missbrauch. Und da sind wir dann auch schon wieder bei dieser oben angesprochenen Reibung.
KK: Kann Theater etwas bewegen?
EC: Es wäre in jedem Fall schön, wenn es so wäre. Vielleicht hat man das Glück, jemanden zu erreichen und zu bewegen, der Einfluss hat, der was verändern kann. Letztendlich ist es wie mit der Mülltrennung – wenn keiner seinen Kaugummi in den Müll spuckt, funktioniert es nicht, wenn sich aber einmal einer darauf einlässt, dann ziehen vielleicht auch andere nach. Ich glaube, dass in der Hinsicht das Theater für junges Publikum eine große Rolle spielt – ich habe selbst schon Regie geführt für Kinder und Jugendliche, und manchmal habe ich den Eindruck, dass die gar nicht so richtig wissen, was das ist, Theater. Da muss man früh ansetzen. Das ist natürlich nicht mit herkömmlichen „well-made plays“ machbar, da müssen Stücke und Inszenierungen her, die wichtige Themen ohne eine gefällige Verharmlosung angehen. Leider machen da erfahrungsgemäß oft die Lehrer nicht mit – da heißt es schnell, das könne man den Kindern nicht zeigen, weil sie solche Themen nicht kennen. Dabei geht es doch genau darum, die Leute, die ins Theater gehen, zu fordern, in diesem geschützten Raum des Theaters mit etwas Unbekanntem zu konfrontieren und die Zuschauer, vor allem die jungen, nicht zu unterschätzen.