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Ein immer noch schniefend-schneuzend-schnupfendes Publikum kam gestern Abend nach „Common Ground“ von Yael Ronen im Maxim Gorki Theater die Stufen nach unten. Da hatte sichtlich bei Weitem nicht nur ich geweint. Diese Inszenierung zapft unser aller Wunden der Geschichte und unser aller Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft an. Aber im Theater zu weinen, ist ja eine seltene und also total beglückende Erfahrung. Das hört sich an wie Lebendigkeit. Und im Theater lauthals zu lachen, ist ja auch eine seltene und sowieso total beglückende Angelegenheit. Dass diese Inszenierung dem einen wie dem anderen einen Boden bereitet, liegt sicherlich an der verhandelten Geschichte und den erzählten Geschichten, aber ebenso sehr am formalen Aufbau.
Uneindeutigkeit, Polyperspektivität, Rahmenverschiebung. So kommt uns das Thema [Jugoslawienkriege], so kommen uns auch die Menschen [die gleichzeitig Privatpersonen, Schauspielende und Figuren sind] entgegen. Und zwischen, über, während alledem, noch eine Verschiebung: Orit [„die Israelin“] und Niels [„der Deutsche“] sorgen immer wieder rechtzeitig für den Comic Relief. Das sind die beiden Närrischen, die nie den rechten Zugang finden zum Thema, die sich dauernd in den Klischees von sich selbst aussprechen. Ich finde, da passiert noch mehr:
erstens. Besonders Niels, wie der da so steht, pünktlich und ordentlich und an technischen Abläufen mehr als an Menschenleben interessiert, fungiert für ein Publikum in Deutschland als freundlicher Page am Weg hinein in den Abend. Während wir diese Klischees noch von uns selbst wegschieben [Ha! Nein! So bin ich nicht!], haben wir die Klischees schon als Klischees verstanden, haben also schon gelacht und damit diese spezifische Form von Nähe-UND-Distanz geschaffen, die es uns erlaubt, mit Geschichten einfach mal so mitzugehen und nicht nur unseren Abstand zu diesen Geschichten zu thematisieren.
zweitens. Dass dies nicht nur ein deutscher Abstand ist, sondern ein prinzipieller Abstand zu nicht-eigener-Geschichte und nicht-eigenen-Geschichten, das zeigt sich in der andauernden Abständigkeit von sich selbst bei allen Personen auf der Bühne und manifestiert sich über den Abend hinweg in der Figur Orit. „Die Israelin“ und „der Deutsche“ sorgen im Zusammenspiel für die Einordnung der polyperspektivischen Geschichte [Jugoslawienkriege] in einen weiteren Zusammenhang [Zweiter Weltkrieg]. Die Närrischen markieren also auch die Unabschließbarkeit des Versuchs einer polyperspektivischen Geschichtsschreibung.
drittens. Narrenfreiheit! Weil Orit und Niels sich durch ihre Abständigkeit längst schon ins Unernste katapultiert haben, können sie auch die großen und ernsten Wünsche und Wahrheiten aussprechen. Niels suggeriert beispielsweise irgendwann eine gewisse Nähe von Ufosichtungen und Jugoslawienkriegen. Dieses Prinzip kennen wir aus der Zeitung. Das ist doch kein Mensch mehr, das ist doch ein Monster. Aber Aliens eignen sich auch als Projektionsfläche für eine fröhliche Zukunft:
„Die Geschichte beginnt mit einem friedlichen Einmarsch von Aliens auf der Erde, um die Menschheit vor sich selbst zu retten und vor ihren zerstörerischen Ideen. Die erste Maßnahme der Aliens ist, jede Form von Nationalismus zu zerstören. Die Aliens haben vollkommen Recht. Diese zerstörerische Idee von Nationen wuchert im Bewusstsein der Menschen wie Krebs. Wir sind noch nicht einmal in der Lage, diesen Tumor zu erkennen, geschweige denn ihn rauszuschneiden. Ab jetzt bete ich, dass diese Alieninvasion noch zu meinen Lebzeiten passieren wird.“
Schon am Anfang des Abends erzählt Orit von ihrer Mediations-Methode. Wir glauben nie an deren Existenz und lachen, wenn sie sagt: „A method which encourages recognizing and accepting the existence of multiple versions of reality.“ Ja, ha!, wäre doch eigentlich großartig. Und großartig auch ihre Erkenntnis, Israel wäre doch nicht „the most fucked up“. Das ist in Anbetracht der berührenden, ehrlichen, wirklichen Geschichten, die der Abend erzählt, so unfassbar selbstbezüglich, naiv, unreflektiert, dass es schon wieder selber berührend, ehrlich, wirklich erscheint. „I guess all happy countries resemble one another, but every sad country is sad in it’s own special way.“
viertens. Der formale Aufbau über Uneindeutigkeit, Polyperspektivität und Rahmenverschiebung ermöglicht es uns, gegenüber dem Abend diese spezifische Haltung von Nähe-UND-Distanz zu erleben. Wir lachen UND wir weinen und wir vergessen obendrein, dass wir das Konstruktionsprinzip, nach dem wir dies tun, die ganze Zeit vor Augen haben. Orit und Niels nehmen uns unmerklich an die Hand, sind die Närrischen, die uns die gesamte Inszenierung so richtig ernst nehmen lassen. [Genau diese Nähe-UND-Distanz kommt in der Inszenierung „Die Schutzbefohlenen“ von Nicolas Stemann so gar nicht in den Blick. Auch dort die drängende Frage nach dem Wie des Erzählens von nicht-eigenen-Geschichten. Dort aber in einem andauernden Ausstellen des eigenen Abstandes, der nie zur Uneindeutigkeit von Nähe-UND-Distanz anwachsen kann. Womöglich entstehen die im Rahmen dieser Inszenierung diskutierten Schwierigkeiten [Wer darf für wen sprechen?] genau aus dieser Einseitigkeit. Weil Monoperspektivität, die dann versucht, noch eine andere Perspektive nachzuvollziehen, ist ja immer schwierig. So, wie Dinge, die zunächst als getrennt gedacht werden, dann nur mehr sehr schwer zusammen kommen. „Common Ground“ macht das anders. Da ist nicht zuerst das eine, und dann das andere, da gibt es vieles und das gleichzeitig.]
außerdem. Orit und Niels sprechen die ersten und die letzten Sätze der Inszenierung. Was den Abend sonst noch so umrahmt hat: die Tatsache, dass im Gorki jedes Stück immer mit Übertiteln versehen wird und dies nicht nur eine kosmetische Maßnahme für die internationalen Gäste des Theatertreffens darstellt. Und: ein Spendenaufruf für die Association of Women Victims of War, eine Organisation, die von Bakira Hasečić gegründet wurde, von der auch im Rahmen von „Common Ground“ gesprochen worden war [bisher beim Theatertreffen: nach den Vorstellungen von „Die Schutzbefohlenen“, „Warum läuft Herr R. Amok?“ und „die unverheiratete“ wurde jeweils ein Spendenaufruf für „My Right Is Your Right“ verlesen. Deren Infomaterialien lagen bei „Atlas der abgelegenen Inseln“ zur freien Entnahme aus] und später ein Konzert von Vernesa Berbo und Band, also auch Tanz und Alkohol und überhaupt Lebendigkeit.
Common Ground
von Yael Ronen & Ensemble
Regie: Yael Ronen, Bühne: Magda Willi, Kostüme: Lina Jakelski, Video: Benjamin Krieg/Hanna Slak, Dramaturgie: Irina Szodruch, Musik: Nils Ostendorf
Mit: Vernesa Berbo, Niels Bormann, Dejan Bućin, Mateja Meded, Jasmina Musić, Orit Nahmias, Aleksandar Radenković
www.gorki.de