Julian van Daal findet, es ist eine unromantische Geschichte. Weil er einfach nur vier Worte in die Suchmaske getippt hat. Was. Soll. Ich. Studieren. Und der Internettest spuckte als Ergebnis aus: Regie. Dramaturgie. Oder Theaterwissenschaft. Auf den ersten drei Plätzen. Julian van Daal studierte zu dem Zeitpunkt noch Jura. Erfolglos, wie er sagt. Theater? Ab und zu mal drin gewesen. Aber mehr auch nicht. Der junge Mann glaubt dem Internet. Er hospitiert im Schauspiel Hannover, in seiner Heimatstadt. Und plötzlich ist es um ihn geschehen. Das Theater lässt ihn nicht mehr los. In Wirklichkeit ist die Geschichte also sehr romantisch.
Julian van Daal will jetzt Regisseur werden. Seit zwei Jahren studiert er am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. Geschrieben hat er ab und zu, Essays oder Kurzgeschichten. Aber eigentlich nur für sich. Einmal hat er sich hingesetzt und ein Stück verfasst. Weil er einfach mal etwas fertig schreiben wollte, nicht abbrechen, bevor es zu Ende erzählt ist, wie sonst. „Alles ausschalten“ heißt es und wurde prompt zum Stückemarkt nach Berlin eingeladen. Julian van Daal ist 25 Jahre alt, ist damit der jüngste in der diesjährigen Auswahl. Peca Stefan, Ekat Cordes, Wolfram Lotz und Claudia Grehn sind drei oder vier Jahre älter als er, fast alle haben schon Preise gewonnen.
Und dann kam Berlin
Van Daal hatte seinen Text ursprünglich für ein Theaterfestival am Reinhardt-Seminar im vergangenen Jahr geschrieben. „Zorn“ war das Motto. Eine Professorin hatte ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, sich darüber Gedanken zu machen. Er dachte an die U-Bahn-Schläger von München, junge Männer, die wie aus dem Nichts zuschlagen, weil ein anderer sie auf das Rauchverbot aufmerksam macht oder Kinder beschützen will. „Ich wollte einen Blick auf diese Jugend werfen, die man nicht kennt.“ Er wollte sie verstehen lernen. Dann ging alles ganz schnell. Sein Stück wurde in einer Lesung präsentiert, zwei Wochen später rief ein Verlag an. „Wir schicken dich zu Wettbewerben“, kündigte man ihm an. Und dann kam Berlin. „Dabei habe ich doch gar nicht für draußen geschrieben“, sagt Julian.
„Ich sitze auf meinem Zorn“
Heute Abend wird das Stück in der Kassenhalle des Hauses der Berliner Festspiele zum Klingen und Sehen gebracht, szenisch eingerichtet von Tilmann Köhler, der als Regisseur 2007 mit „Krankheit der Jugend“ zum Theatertreffen eingeladen war. Als Autor und Regie-Student kennt van Daal beide Seiten, die Arbeit am geschriebenen Wort und die Umsetzung auf der Bühne. „Ich habe großen Respekt vor Texten“, sagt er, „da leiht man sich etwas aus.“ Was einem nicht gehört. Beim Schreiben hat er versucht, seinen Regieblick auszuschalten. „Das schränkt nur ein“, findet er. „Ein dramatischer Text darf auch einfach nur gelesen werden.“
Van Daal schneidet in seinem gesellschaftkritischen Stück knappe Dialogszenen an längere Monologe. Sagt einer: „Hast du was da?“ – Antwortet der andere: „Nee, du?“ – „Nein.“ – „Was ist das nur?“ – „Was?“ – „Dass es mir so schlecht geht?“ Die Typen stolpern über ihre Sprachlosigkeit, über ihre innere Taubheit. „Ich hab irgendwie das Gefühl, ich sitze jetzt auf meinem genetischen Zorn und weiß damit nichts mehr anzufangen, denn du hast mir alles in den Arsch geschoben und mich so gemütlich gemacht, dass ich, und vielleicht, oder wahrscheinlich sogar sehr viele andere auch, außer dem Weg vom Fernseher zum Kühlschrank zum Klo keine Anstrengungen mehr auf uns nehmen müssen“, textet ein Sohn seinen nach einem Schlaganfall verstummten Vater im Rollstuhl zu. Während er ihm Löffel in den Mund schiebt, hört eine junge Mutter auf, ihr Baby zu füttern. Langsam wird klar, dass eine Gruppe von Jungs einen Jugendlichen so zusammengeschlagen haben, dass er gestorben ist. Julian van Daal saß an seinem Schreibtisch, er schrieb eine Szene und „plötzlich erzählten mir die Figuren, dass jemand tot ist.“ Die Figuren hatten sich verselbstständigt, im Kopf des Autoren.
Schneller, leichter
Vor kurzem fanden in Berlin die Autorentheatertage statt, vor wenigen Tagen endete der Heidelberger Stückemarkt. Es gibt die Werkstatt-Tage am Wiener Burgtheater, das Wochenende der jungen Dramatiker an den Münchner Kammerspielen. Der Markt für neue Dramatik ist ein großer, schnellebiger. „Mal ehrlich, wie viele von den Stücken werden zweitaufgeführt?“ fragt sich van Daal. Natürlich will der Regie-Student nachlegen, motiviert von seinem kleinen Sieg. Ein zweites Stück schreiben. Vielleicht geht alles einfach ein bisschen schneller bei Julian van Daal. Er ist schon verheiratet. Und er ist Vater einer kleinen Tochter. „Das ist das Größte, was mir bisher passiert ist.“ Ein typischer Satz. Julian van Daal passiert einfach viel.