Jürgen Gosch zum Zweiten! Seine Inszenierung von Roland Schimmelpfennigs „Hier und Jetzt“ wurde für die Premiere beim Theatertreffen am 7. Mai von der Zürcher Schiffbau-Halle in einen alten Postbahnhof in Berlin verlegt.
Dort feierten in einem riesigen Berg aus frischer Erde Georg und Katja ihre Hochzeit. Reden wurden gehalten, man prügelte sich blutig, und für die Zukunft des Brautpaares sah es nicht gut aus. Die Blog-Redaktion hat sich unter die Hochzeitsgäste gemischt und ins Gästebuch eingetragen.
Liebe Hochzeitsgesellschaft,
ich fühle mich geehrt, dass wir zusammen den Abend verbringen durften, denn nicht alle unsere Freunde konnten bei der Hochzeit von Katja und Georg dabei sein. Ein paar von euch sind mir besonders ans Herz gewachsen!
Liebe Frau mit dem Edelkinderwagen, ich fand es großartig, wie du dich als späte Mutter um dein Kind gekümmert hast und es vor blutüberströmten Martins und anderen betrunkenen Hochzeitsgästen beschützt und auch immer wieder herrlich überfürsorglich gefragt hast: „Na, was sagst du?“ Du hattest teilweise Angst um dein Kind – zu Recht! – und ich hatte das auch. Lieber Martin, du bist ein Abschlepper der schlimmsten Art und weißt das auch, du bist so von dir selbst überzeugt und hast doch nur Angst davor, alleine zu sein. Aber ich mochte es, wie du am Kopf der Tafel saßt und von deinen Eroberungsstrategien erzähltest. Aber du kannst auch einstecken und das mochte ich auch sehr. Wenn du blutüberströmt wieder aufstandest, und das schon zum dritten Mal, dann konnte man dich nur lieben. Und außerdem mochte ich es, wenn ihr alle geschrien habt, wenn ihr den Totenkopf panisch weitergegeben habt und überall Federn verstreut habt. Nur, wenn ihr von eurem langweiligen Leben zuviel erzählt habt, dann langweilte ich mich auch; wenn ihr euch nackt auszogt, dann sah ich darin keinen Sinn.
Ihr wart nicht meine erste Hochzeitsgesellschaft, und so hatte ich das Gefühl, vieles, was ich bei euch sah, schon einmal erlebt zu haben. Außerdem wart ihr auch von Anfang an sehr unter Strom, habt euch nicht erst Zeit gelassen, sondern habt euch nach ein paar Minuten gestritten, und ich wusste schon am Anfang, wer mit wem und so. Und deswegen hat sich bis zum Ende der Feier nicht mehr viel entwickeln und mich überraschen können, außer, dass ihr die schöne Hochzeitstafel so richtig einsauen konntet. Ach ja, und was ihr gesungen oder musiziert habt, mochte ich auch nicht. Ihr beherrscht eure Instrumente wirklich gut, aber unsere schöne Feier ist dann so ins Kitschige abgedriftet …
Trotzdem: Ihr wart wirklich eine großartige Hochzeitsgesellschaft, und ich war froh, dass ich dabei sein durfte.
Herzliche Grüße an alle, Anna Postels
Lieber Roland Schimmelpfennig,
die ganze Zeit habe ich mich gefragt: Was ist das Problem mit der Liebe? Mit der Zeit stumpft sie ab, und man kriegt keine zarten Worte mehr zu hören. Kein „Ich liebe dich“ mehr. Keinen Kitsch, keine Romantik. Ich habe mal das Gegenteil erlebt. Es wurde immer mehr. Und heute Abend war das wieder so! Nur die Unbefangenheit ist ja mittlerweile weg. Als die alte Ilse ihre Geschichte mit der neugeborenen Stechmücke erzählte, lächelte ich beseelt. Doch Georg schaute ernst. Ist Georg ein Idiot? Den Eindruck hat man zunächst. Weil er von seiner Frau betrogen, über Monate, und schließlich verlassen wird. Tut es ihm gut, wenn er Martin, seinen Rivalen, blutig schlägt und von Rachedurst benebelt seine Frau Katja erschiesst? Martin hat es verdient, dieser Feigling, der vernachlässigte Frauen verführt. Das ist so einfach.
Ich wurde auch mal verlassen. Klar, das hat wehgetan. Aber er tat mir auch leid. „Die Fische und die Vögel, die wissen nichts davon“, so ging eines der Lieder, das heute Abend gesungen wurde. Aber gewiss. Sie fühlen nicht wie wir Menschen. Sollte man sie beneiden? Nein, natürlich nicht. Aber vielleicht lässt sich etwas aus ihrer sturen Stille lernen. Die Tiere leben auch nur einmal. Ganz intensiv. Den Gedanken lasse ich nun lieber offen. Bis zur nächsten Hochzeit.
Liebe Grüße, Elise Graton
PS: Ich finde auch, dass Audrey Hepburn überbewertet ist.
Lieber Georg, liebe Katja,
ich habe mich gefreut, eurer Hochzeit bewohnen zu dürfen. Es war mir das gelungene Panoptikum einer Gesellschaft aus gelangweilter Familie und entfernten Freunden, die dabei sein müssen, aber miteinander auf eine Art sprechen, als kreisten sie nur verschlungen um sich selbst. Da sah ich eine wunderbare Ansammlung von Persönlichkeiten, welche sich abgestanden ritualisiert verhalten und sich gern etwas sagen möchten, denen allerdings doch das Nachdenken über das Gesagte und zu Sagende abhanden gekommen ist. Und an einem Hochzeitsabend erzählend das Ende eurer jungen, aber schalen Ehe vorwegzunehmen, das ist eine ausgereifte Chuzpe, eine Köstlichkeit.
Nur: Ich habe ebensolchen Hochzeitsgesellschaften schon beigewohnt. Sie artifiziell und in naturalistischen Zügen zu wiederholen, ist kein besonders eleganter Kunstgriff. Ihre Wirkung bezieht sie eben aus dem Vorauserzählen der brachial eintreffenden oder besser: eingetroffenen Affäre, die deine, lieber Georg, gealterte Liebe zu einer Fußnote verkommen lässt. Dein ungehaltener Ausbruch ist sehr verständlich. Und belustigt mitunter sehr. Aber was ist mir dir, liebe Katja, du lässt dich herumführen, die Geschichte dreht sich um dich, und doch bleibst du ein wenig blass, nur dein kurzzeitiges Aufblühen in der Lust bleibt mir da in der Erinnerung zurück. Aber dass eure Träume von einem billigen Aufreißer zerstäubt werden, habt ihr, haben eure Freunde und Familie kunstvoll verspielt zu einem freudigem Abend gemacht. Für euren Neuanfang beim gemeinsamen Zähneputzen wünsche ich euch viel Glück.
Liebe Grüße, Maximilian Grosser